DIE GRÜNDUNG DER STADT AACHEN

Kaiser Karl der Große war ein eifriger Jäger, und nichts liebte er so als das edle Waidwerk, mit dem er sich von seinen schweren Staatsgeschäften zu erholen pflegte. Nun waren aber in der Gegend, wo jetzt die Stadt Aachen liegt, vor Zeiten große Eichen- und Buchenwälder, die in ihrer Abwechselung mit dichten Tannen- und Fichtenwäldern, Sümpfen und Heidestrecken treffliche Verstecke für Wild und Raubtiere aller Art abgaben. Es darf also nicht wundernehmen, wenn der Kaiser, sobald er in diese Gegend kam, gerade hier am meisten mit seinem Gefolge jagte. Auf einer dieser Jagden hatte er sich jedoch bei Verfolgung eines Hirsches allzuweit von seinen Begleitern entfernt und kam so, im Walde herumirrend, zu einem in Trümmern liegenden alten Schlosse. Als er jedoch dasselbe näher in Augenschein nehmen wollte, versank plötzlich sein Roß mit den Vorderfüßen in einem Morast. Der Kaiser stieg von dem Pferde herab, um es herauszuziehen und sah an der Stelle, wo dasselbe die Erde durchbrochen hatte, heiße Dämpfe und gleich darauf einen Wasserstrahl aus dem Boden aufspritzen. Der fromme Kaiser sank auf die Erde und dankte Gott in seinem Gebete für diese Entdek-kung, denn er erkannte sofort, daß er eine heilbringende Quelle entdeckt habe. Er gelobte gleichzeitig, der Jungfrau Maria hier einen Tempel zu errichten und sich aus dem alten Schlosse ein Jagdschloß und eine Pfalz bauen zu lassen. Das war die erste Entstehung des Kaiserpalastes zu Aachen und der Liebfrauenkirche. Nach und nach fand man noch mehrere heiße Quellen in der Nähe seiner Burg; diese ließ der Kaiser fassen und legte selbst Badehäuser an, die er später fleißig benutzte. Dies ist das sogenannte Kaisersbad gewesen. (Aachen)


Quelle: J. G. Th. Grässe, Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, 2 Bde., 2. A., Glogau 1871, II, S. 87, Nr. 66 (nach Jos. Müller, Aachens Sagen und Legenden, Aachen 1858, S. 1 f.)
aus: Historische Sagen, Leander Petzoldt, Schorndorf 2001, Nr. 57, S. 40