NORDLANDREISE DER FRIESEN

Nach den Erzählungen des Erzbischofs Adalbert von Bremen sind in den Tagen seines Vorgängers adelige Männer aus Friesland gegen Norden gesteuert, um das Meer zu durchschweifen. Unter den Bewohnern jenes Landes ging die Rede, wenn man von der Mündung der Weser in gerader Richtung nach Norden zu ausliefe, träfe man kein Land, sondern nur den unbegrenzten Ozean. Um diese so auffallende Erscheinung zu ergründen, hatten sich diese Genossen miteinander verbunden und liefen mit fröhlichem Jubelgeschrei aus. Sie ließen auf einer Seite Dänemark, auf der anderen Britannien liegen und gelangten zu den Or-chaden. Nachdem sie auch diese linker Hand hinter sich gelassen hatten, kamen sie nach langer Irrfahrt zum eisigen Island. Während sie von da aus, das Meer durchforschend, auf die äußerste Achse des Nordens zueilten, verfielen sie plötzlich in jene schwarze Finsternis des starrenden Ozeans, die mit dem Auge kaum zu durchdringen war. Hier hatte der Ozean gleichsam die geheimnisvollen Anfänge seiner Quelle. Die unglücklichen Seefahrer, die bereits verzweifelten und nur an den Tod dachten, wurden mit der heftigsten Gewalt nach jenem Schlunde gezogen, der alle Rückströmungen verschlingt und wieder ausspeit, was man die wechselnde Flut zu nennen pflegt. Als die Seefahrer nur noch die Barmherzigkeit Gottes anflehten, daß er ihre Seelen annehmen möchte, riß jene zurücklaufende Gewalt des Meerstromes einige Schiffe hinweg, die übrigen aber trieb der wiederausspeiende Auslauf des Wassers weit von den ändern hin. Mit aller Anstrengung rudernd, unterstützten sie die Macht der sie forttreibenden Strömung und wurden so vom sicheren Tode errettet. Nachdem sie nun der gefahrdrohenden Finsternis und dem Lande der Kälte entronnen waren, landeten sie unverhofft auf einer Insel, die rings mit sehr hohen Klippen wie eine Stadt mit Mauern umgeben war. Sie fanden dort Menschen, die in unterirdischen Höhlen verborgen lagen und vor deren Türen eine unermeßliche Menge von goldenen Gefäßen und von solchen Metallen aufgespeichert war, die von den Sterbliehen für selten und kostbar gehalten werden. Die Ruderer nahmen von diesen Schätzen, soviel sie fortbringen konnten, und kehrten eiligst zu den Schiffen zurück. Plötzlich sahen sie Menschen von wunderbarer Größe hinter sich herkommen, Zyklopen genannt; vor ihnen liefen Hunde her, die die gewöhnliche Größe weit überschritten. Die Hunde stürzten heran und rissen einen von den Genossen hinweg, der augenblicklich vor ihren Augen zerfleischt wurde. Die anderen Seefahrer aber entkamen in die Schiffe und entrannen so der Gefahr, doch verfolgten die Riesen sie bis beinahe auf die hohe See hinaus.

Von Glück geleitet, gelangten die Friesen bis nach Bremen, wo sie dem Erzbischof Alebrand alles erzählten und dem Herrn im Himmel Dankopfer darbrachten.


Quelle: Adam v. Bremen, Hamburgische Kirchengeschichte, ed. W. Wattenbach, Leipzig 1893, in: Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit Bd. 44, S. 237 ff.
aus: Historische Sagen, Leander Petzoldt, Schorndorf 2001, Nr. 25, S. 23