DER SCHWERE WAGEN

Vor ungefähr dreißig Jahren schnitt eine Bäurin aus Malmkrog das Korn ihres auf hohem Berge gelegenen Ackers. Im Schatten dreier Garben langweilte sich ihr vier- oder fünfjähriger Knabe. Die ziemlich steil abfallende Seite des Berges deckte ein alter stellenweise gelichteter Wald. Es war um die vierte Nachmittagsstunde; im Dorfe läuteten die Glocken zur Vesper. Glauben und Sitte geboten nunmehr die Heimkehr; aber die Bäurin blieb bei der Arbeit. Da erhebt sich im nahen Walde lautes Getöse. Mit weithin schallendem Peitschenknallen, mit Rufen und Schreien, mit "Hi" und "Ho" wollen nirgends sichtbare Leute — so erzählte der Knabe — einen schwer beladenen Wagen den bewaldeten weglosen Berg hinantreiben. Wie verstört läuft die Mutter zum Jungen, rafft eilig zusammen, was sie von Hause mitgebracht; — drüben treibt und tost es fort, kracht, knallt und lärmt es immer ärger. Den Knaben an der Hand flüchtet das Weib aus der Nähe des Waldes den Berg hinab dem Dorfe zu. Den vom Felde schon früher heimgekehrten Mannsleuten erzählt sie am Abend: „Als man in die Vesper läutete, kamen die mit dem 'schweren Wagen'. Ich will mein Lebtag nicht mehr auf dem Hattert bleiben, wenn man in die Kirche läutet."


Quelle: Siebenbürgische Sagen, Herausgegeben von Friedrich Müller 1857, 1885; Neue erweiterte Ausgabe von Misch Orend, Göttingen, 1972, Nr. 84, S. 87