Wie Breslau [Wrocław] vor dem Ansturm der Tartaren gerettet wurde

Im Jahre 1241 kamen die wilden Horden der Tataren nach Schlesien. Sie richteten fürchterliches Unheil an; sie raubten, plünderten, sengten, mordeten. Kein Wunder darum, daß sich der Bewohner Schlesiens eine große Angst bemächtigte, und daß sie sich in die Wälder flüchteten, sobald sie hörten, daß die grausamen, mord- und raublustigen Scharen sich ihren Ansiedlungen näherten. Auch bis Breslau drangen die wilden Völkerschaften der Tataren vor. Hier ließen sie sich vor den Toren der Stadt nieder und wandten alle Künste an, sich der Stadt zu bemächtigen. Die Bürger Breslaus fürchteten das Schlimmste. Da verließen sie auf den Rat des Dominikanerpaters Eseslaus die Stadt und verschanzten sich auf der festen Kreuzburg. Die Oderbrücke brachen sie hinter sich ab.

Die Tataren folgten ihnen auf dem Fuße und gelangten bis an die Oder. Der Fürst der Tataren forderte nun die Bürgerschaft auf, sich zu ergeben. Aber, ermutigt durch die Predigten des Paters Eseslaus, gaben sie seiner Aufforderung nicht nach und leisteten heldenmütigen Widerstand.

Da schwur der Tatarenfürst, daß er keines Bürgers Leben schonen werde, und gab den Befehl, den Fluß zu durchschwimmen. Aber die Tataren kamen nicht weit. Denn jenseits der Stadt stand Eseslaus, ermutigte die verängstigten Bürger, auszuhalten und auf Gott zu vertrauen, und forderte sie schließlich auf, sich auf die Knie niederzuwerfen und den allmächtigen Gott um Hilfe in der Not anzuflehen. Und siehe, wie der Hilferuf gen Himmel drang, öffnete sich der Himmel, es regnete Feuer hernieder, und die Tataren mußten, entsetzt ob dieser furchtbaren Erscheinung, umkehren und waren froh, als sie die rauchenden Trümmer der brennenden Stadt hinter sich hatten. Einige der Tataren aber waren von diesem seltsamen Ereignis so erschüttert, daß sie sich heimlich taufen ließen.

In der ältesten Kirche der Stadt Breslau, der St. Martinskirche, ist diese wunderbare Errettung der Breslauer aus der Gewalt der Tataren auf einem Gemälde dargestellt.


Quelle: Sagen aus Schlesien, Herausgegeben von Oskar Kobel, Nr. 8