Der Wundermann Paracelsus

Paracelsus befand sich um das Jahr 1514 in Wien, wo er in einer Herberge unfern des Roten Turmes wohnte und seinem ungestüm fordernden Wirt einen schlechten Pfennig in eitles Gold verwandelt haben soll. Der Herbergsvater war darob so entzückt, daß er den Pfennig küßte, wovon sein Haus den Namen "Zum-Küß-den-Pfennig" erhielt. Einige Jahre danach wurde an diesen Gebäude ein Gemälde angebracht, das in der naiven Darstellung der damaligen Zeit einen Mann wiedergab, der einen goldenen Pfennig küßt. Darunter befand sich folgende Inschrift, welche mutmaßlich der zeitgenössische Dichter Wolfgang Schmelzl (1548) verfaßte:

Der theure Theophrast, ein Alchymist vor allen,
Kam einst in dies Haus und kunte nit bezallen
Die Zech, die er genoß. Er trauet seiner Kunst,
Mit welcher er gewann vil großer Herren Gunst.
Ein sicheres Gepräg vom schlechten Wert er nähme,
Tingirte es zu Gold, der Wirt von ihm bekäme
Dies glänzende Metall. Er sagt, nimm dieses hin, :
Ich zahl ein meheres, als ich dir schuldig bin.
Der Wirt ganz außer sich, bewundert solche Sache,
Den Pfennig küsse ich, zu Theophrast er spräche.
Von dieser Wunderg'schicht, die in der Welt bekannt,
Den Namen führt dies Haus, zum Küßdenpfennig g'nannt."

Paracelsus starb am 23. September 1541 zu Salzburg. Sein Andenken bewahrte eine Inschrift an einem Häuschen nahe der Salzach. Ebenso wie von Doktor Faust, dessen berühmter Vorläufer er war, sind auch von ihm mancherlei Sagen in der mündlichen Oberlieferung, zum Teil auch heute noch bei der Urbevölkerung des Salzburgischen erhalten geblieben. Ich greife von den sagenhaften Mitteilungen diejenige heraus, welche wenigen bekannt sein dürfte und uns auch zugleich die allerdings phantastische, jedoch für den Volksaberglauben bezeichnende Erklärung einer geophysischen Eigenheit der Salzach vermittelt, sich aber ganz besonders in trefflichen Charakterschilderungen ergeht, so daß man sie in letzterem Fall eigentlich eine echte Volksfabel nennen dürfte.

Theophrastus lag auf dem Totenbett und sprach also zu seinem Famulus: Was meinst du, ob ich diesmal wieder aufstehe? Aber, sage mir aufrichtig, denn du weißt, daß ich in allen Dingen entschlossen bin und keine Furcht kenne. Also werd' ich auch nicht zittern, wenn es einmal Ende sein muß, denn ich habe von der Welt Reichtümer und Ehren immer dafür gehalten, daß sie nicht ewig bei unsereinem von Fleisch und Bein bleiben können, und was die anderen irdischen Freuden betrifft, so hab' ich mir nie viel daraus gemacht; wie du auch wissen magst, daß ich nie nach Weibergunst habe streben wollen. Der Famulus tat sich Gewalt an, um bei diesen Worten ernsthaft zu bleiben, denn er hatte den Schalk im Nacken und wußte gar wohl, warum sein Herr der Frauengunst aus dem Wege ging; auch sah er, daß der Wunderdoktor sich selbst nicht mehr kurieren könne, und dachte schon daran, die vielen Tinkturen des Meisters zu erben, durch deren Verkauf er sich zeitlebens ein schönes Stück Geld werde erwerben können. Deshalb freute er sich heimlich auf seines Herrn Tod, stellte sich aber jetzt vor ihm sehr betrübt und gab ihm zur Antwort: Herr, ihr seht so frisch und gesund aus, wie irgendeiner und seid dicker als jemals; ich möchte darauf wetten: ihr werdet noch lange leben, wofür ich Gott und alle Heiligen stündlich anrufe. Theophrastus, der durch seine Frage eigentlich nur die Würdigkeit seines Dieners prüfen wollte, erkannte nun dessen falsche Gesinnung, ließ aber nichts merken, sondern befahl ihm, eine Phiole vom Gesimse herabzulangen, worin ein Elixir enthalten sei, das das Zipperlin unfehlbar heile; die Phiole übergab er dem Famulus mit dem Auftrag, schnurstracks auf die Salzachbrücke zu gehen und sie dort, über den Fluß haltend, zu zerschlagen, damit das Elixir in den Fluß rönne, denn es hätte noch andere Eigenschaften, die, um nicht Schaden anzurichten, nicht jedermann kennen dürfte. Der Famulus gelobte alles zu vollführen und ging. Als er aber kaum vor der Türe war, dachte er in seiner Untreue: Das ist ein rechter Neidhart, der gerne möchte, daß seine kostbaren Medikamente keinem anderen als ihm Geld einbringen sollen, deshalb will er sie lieber vernichten; denn das glaube ein Dümmerer, daß das Elixir noch eine unbekannte schädliche Kraft berge. Ist er aber nur erst tot, so kann ich die Leute wohl ebenso zu meinem Vorteil mit dieser Tinktur kurieren als er. So verschloß er die Phiole in seiner Kammer und ging dann zum Meister, ihn belügend, daß dessen Auftrag vollzogen sei. Ich danke dir, sprach Theophrastus sanft, aber sage mir auch, was du gesehen hast, als die Tinktur ins Wasser rann. - Gesehen? Nichts, lieber Meister! antwortete verblüfft der Famulus. Da hob sich Theophrastus zürnend vom Sterbebett auf. Dann belogst du mich. Geh' also augenblicklich wieder hin und tue wie ich dir befahl, sonst geschieht dir ein großes Unglück! Darüber erschrack der Famulus so sehr, daß er sich nicht lange besann, sondern die Phiole nahm und zur Brücke ging. Dort tat er genau, wie ihm sein Meister befohlen, denn die große Angst hatte ihn ganz rechtschaffen gemacht. Mit einem Stein zerschlug er die Phiole und die Tinktur rann in die Salzach. In demselben Augenblicke schimmerte die ganze Oberfläche des Flusses wie gediegenes Gold und der Famulus sah mit Schrecken, welch herben Verlust er erlitten, denn das Elixier hatte die geheime Kraft, alles in Gold zu verwandeln. Er raufte sich verzweifelt das Haar, aber was half's, der Goldschimmer schwand allmählich von den Wellen und die Goldkörner sanken zu Boden. In der Hoffnung, noch so eine kostbare Phiole zu finden, rannte er heim. Als er in die Krankenstube trat, mit kreideweißem Gesicht, merkte Theophrastus gleich, daß sein Diener die Falschheit gebüßt habe und fing derb an zu lachen. Herr, Herr! ... schrie der Famulus und wollte Auskunft, aber der Meister sprach: Ich sagte dir, es wäre dir ein Unglück, die geheime Kraft der Tinktur zu kennen; jawohl, ein Unglück war's, wüßt' ich sie in einer Hand wie die deine ist! Aber der Famulus faßte sich rasch und erwiderte heuchlerisch: Herr, ich bekenne reumütig meine Unwürdigkeit; doch wer ist würdig auf Erden? Darum, wenn ihr noch mehrere solcher Phiolen habt, so sagt mir, welche es sind, damit ich hingehe und sie alle vertilge. - Es war die einzige, du Narr, sprach der Meister; glaubst du, man braut ein Goldelixir eimerweis'? Und er lachte wieder laut über der Welt Torheit und lachte in einem fort, bis ihm der Atem ausging. Er wurde stattlich begraben, wie es sich für einen im geheimen Wissenschaften so tief gelehrten Mann geziemt. Die Salzach aber führt seit jener Begebenheit Gold im Sande ...

Quelle: Jos. A. Detoni, Der Wundermann Paracelsus im Volksglauben, Zeitschrift für österreichische Volkskunde 17, 1911, S. 78 ff.
Aus: Will-Erich Peuckert, Ostalpensagen, Berlin 1963, Nr. 108, Seite 61