Der Wassergeist in Wilhelmsdorf

In Wilhelmsdorf unweit des Meidlinger Bahnhofes befand sich ein längst verlassener Ziegelschlag, der oft mit Wasser gefüllt war.

Nach dem Glauben der Umwohner wurde das Wasser, das auch bei größter Hitze nie austrocknete, von einem alten Wassergeiste beherrscht. Damit die Leute nicht die Einrichtung seiner Wohnung erfuhren, zog er alle jene, die sich in seine Nahe wagten, zu sich hinab und hielt sie gefangen. Viele Knaben, die dort badeten, mußten ertrinken, indem er die Wege, die bei klarem Wasser sichtbar waren, so mit Schlamm überdeckte, daß sich die Badenden nicht mehr helfen konnten.

Viele Leute wollen ihn auch beim hellen Vollmond auf der Wasserfläche beobachtet haben, wie er mit einem ungeheuer großen Kamme sein gelbes Haar kämmte und mit einem bis an die Fersen reichenden Rock auf der angrenzenden Wiese spazierenging. Den ganz in der Nahe wohnenden Leuten fügte er keinen Schaden zu, nur verkündete er ihnen mit durchdringendem Winseln den Tod eines Nachbarn oder zeigte ihnen durch einen schauerlichen Sturm an, wenn jemand in dem Tümpel ertrunken war.

Quelle: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 4, S. 4
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Anja Christina Hautzinger, April 2005.