Die Schätze der hl. Corona

In alten Zeiten glaubte man, daß die hl. Corona die Macht besitze, ihre Verehrer mit Schätzen und Reichtümern zu beschenken, wenn man sie durch gewisse Gebete und Beschwörungen, die ebenfalls wieder unter gewissen Zeremonien verrichtet werden mußten, dazu zwinge.

Der Mesner von St. Stephan, ein nach Geld und Gut habsüchtig strebender Mann, hatte sich schon lange vorgenommen, dieses "Coronagebet" zu sprechen und die Heilige zur Öffnung ihres unversiegbaren Schatzkästleins zu bringen. Oft hatte er zu seinem Weibe neidvoll davon gesprochen, wie die Reichen so herrlich und in Freuden lebten, wie treu er der Stephanskirche seit Jahren diene und trotzdem stets leere Säcke habe, wie schmuck es sich ausnehmen würde, wenn sein ältester Sohn im prunkenden Reiterrocke, ein Regiment kommandierend, einherstolzierte, der zweite könnte Propst oder gar Bischof sein, und das Mädchen die Gattin eines angesehenen Edelmannes, und so sollte denn das beschwörende Gebet herhalten, um diese Träume zu verwirklichen.

In einer finsteren Nacht schlüpfte der Mesner in den Dom und vollführte seine Beschwörungen, obschon ihn geheimnisvolle Stimmen mahnten, abzulassen und es ihm schien, als öffneten sich alle Gräber und die Verstorbenen, der Bürgermeister Vorlauf an der Spitze, der sein edles, ihm als treuem Diener seines Herrn abgeschlagenes Haupt in der Hand trug, richtete die warnenden und zürnenden Augen auf ihn.

Aber er ließ sich nicht irremachen und wußte sich vor Entzücken kaum zu fassen, als die hl. Corona aus einer Pfeilernische herabzuschweben schien, drohend den Zeigefinger hob und mit den Worten "So nimm denn des Goldes verächtlichen Schimmer, der das Herz der Edlen nicht erfreut und dem Schwachen seine verführerischen Fallstricke legt!" ihre Schürze fallen ließ, aus der nun ein ungeheurer Goldhaufen auf die steinernen Platten der Kirche rollte.

Von nun an bewohnte der Mesner, der sofort sein Amt niedergelegt hatte, mit seiner Frau eines der größten Häuser der Stadt und machte ungeheuren Aufwand, tafelte mit einem Heer von Schmarotzern alle Tage und suchte durch die Jubelklänge der Musikanten den Mißton zu verscheuchen, der sich trotz des Reichtums in seine Brust geschlichen hatte, denn - er war in seinem Familienleben höchst unglücklich geworden.
Eben brachten an einem solchen Tage die schmeichelnden Gäste einen Toast auf den "glücklichsten und edelsten der Hausväter" wie sie ihn nannten, aus, als ein Diener in den Saal trat und dem reichen Manne ein schwarz gesiegeltes Schreiben übergab. Er las es und sank ohnmächtig vom Stuhle - sein einziger am Leben gebliebener Sohn war im Zweikampf getötet worden. Er hatte den Reiterrock an, wie der törichte Vater gewünscht, war aber ein Verschwender, Trunkenbold und Zänker geworden; statt ein Regiment zu kommandieren, war man eben im Zuge, ihn wegzujagen, als er den blutigen Raufhandel selbst herbeiführte, der ihm das Leben kostete. Der jüngste Sohn war, weder als Propst, noch als Bischof, sondern als liederlicher Student, an Körper und Seele zerrüttet, vorlängst gestorben; seine Tochter hatte richtig einen Edelmann geheiratet, der war jedoch samt allem Golde und den Kostbarkeiten der Aussteuer entflohen, worüber die unglückliche Verlassene aus Gram starb.

Als der Mesner aus seiner Ohnmacht erwachte, da - saß er, aus langem Schlummer aufgewacht, umgeben von allen seinen Lieben, die sich sorgenvoll über ihn beugten, in seinem Lehnstuhle. Alle Erlebnisse waren nur ein Traum gewesen, den ihm die hl. Corona zur Warnung beschert, und nie mehr regte sich in dem nun mit seinem einfachen Lose zufriedenen Manne die Gier, reich zu werden und aus seinen Kindern etwas Vornehmes machen zu wollen.

Quelle: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 69, S. 86ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Anja Christina Hautzinger, April 2005.