RUDOLF VON HABSBURGS NASE

Als Rudolf von Habsburg noch Graf war und sich auf seinem Schlosse Kyburg aufhielt, kamen eines Tages die Herren von Regensberg — seine alten Nebenbuhler — zusammen und sprachen: »Diesmal soll der elende Graf unseren Händen nicht entwischen, diesmal soll er seine lange Nase verstoßen!« Nun war bei ihnen aber ein närrischer Mensch, den sie nicht achteten; dieser eilte sofort von Regensberg nach Kyburg, klopfte an das Tor und verlangte dringend den Grafen zu sehen. Als er hereingeführt wurde, betrachtete er sich das Antlitz des Grafen eine gute Weile und sprach dann kopfschüttelnd: »Nein, nein, so lang ist deine Nase doch nicht, wie meine Herren zu Regensberg heute gesagt haben!« Der Graf horchte diesen merkwürdigen Worten zu und sagte: »Was hast du gesagt, wie hast du gesprochen?« Der Narr aber erwiderte: »Meine Herren waren heute zahlreicher als sonst beisammen und sprachen: 'Dem Grafen wollen wir seine lange Nase zerreiben!'« Nun merkte Rudolf sogleich, was im Gange war, sammelte seine Kriegsschar, brach gen Regensberg auf, traf unterwegs die gegen ihn verschworenen Ritter und schlug sie zu Paaren, so daß diesmal die Gegner mit langer Nase abzogen.


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Als das Volk einst in Esslingen (1278) den Kaiser arg umdrängte, rief ein frecher Kerl laut, Rudolfs Adlernase verhindere ihn, vorbeizugehen. Ohne aufgebracht zu sein, wandte der Kaiser seinen Kopf nach der ändern Seite und sagte: »Jetzt gehe, meine Nase soll dir den Weg nicht sperren!« Und alles Volk jubelte. Der Kaiser fügte noch hinzu: »In einer freien Stadt müssen Geister und Zunge frei sein.«


Quelle: Uhland, Ludwig, Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage, Stuttgart 1865-1873, Seite 505 f.
aus: Leander Petzoldt, Sagen aus Wien, München 1993, Seite 16