KAISER RUDOLFS GROßMUT

Rudolfs Gerechtigkeit wurde zum Sprichwort, seine Zeitgenossen nannten ihn das lebendige Gesetz. Nicht minder groß war seine Herzensgüte und Leutseligkeit. Einst schaute der Kaiser Bogenschützen zu, welche sich übten. Einer davon schoß so unvorsichtig und ungeschickt, daß er Rudolf schwer verwundete. Man begehrte, daß er dem Menschen die Hand abhauen lasse, er aber erwiderte scherzend: »Das hättet ihr tun sollen, bevor er mich getroffen hat, jetzt laßt ihn frei, und ermahnt ihn, in Zukunft vorsichtiger zu sein.« *)

Als Rudolf das zweite Mal gegen Ottokar von Böhmen im Felde lag, verhieß dieser demjenigen Ritter großen Lohn, der den Kaiser oder mindestens sein Roß zu Boden strecken würde. Davon verblendet wagten sich viele daran, kamen aber übel weg, und nur zwei drangen bis zu Rudolf durch. Der erste, Herboth von Füllenstein, ein Dienstmann des Erzbischofs von Olmütz, durchbrach die Scharen und drang auf den Kaiser ein, nach welchem er einen furchtbaren Streich führte. Rudolf aber wendete sein Roß und streckte den Verwegenen mit der Streitaxt zu Boden. Valens, ein Thüringer von riesenhafter Größe, schlug sich kurz vor der Entscheidung der Schlacht bis zum zweiten Treffen durch, wo Rudolf hielt und durchstach des Kaisers Roß, so daß es mit seinem Reiter zu Boden stürzte und dem Kaiser der Helm vom Haupt fiel. Entschlossen deckte er sich mit dem Schilde und verteidigte sich mutvoll, bis sein Gefolge zur Rettung herbeieilte, den Kaiser auf ein anderes Pferd hob, den tollkühnen Thüringer aber niederstreckte. Darauf drang Berchthold von Kepellen mit der Nachhut der Österreicher in die böhmischen Reihen und brach sie, wodurch die Schlacht für Ottokar verloren war. Nach derselben ließ Rudolf sich den gefangenen Herboth vorführen, und jeder glaubte nun sein Todesurteil sprechen zu hören, doch man irrte sich. Mit den Worten: »Es würde großer Schade sein, wenn solch ein tapferer Ritter seines Lebens beraubt würde«, begnadigte er ihn und ließ ihn ziehen, wohin er wollte. **)


Quelle: *) Ziegelhauser Leopold, Schattenbilder der Vorzeit, Wien 1844, Bd. 2, S.117
**) Ziegelhauser Leopold, Schattenbilder der Vorzeit, Wien 1844, Bd. 2, S.118
aus: Leander Petzoldt, Sagen aus Wien, München 1993, Seite 15