DER PROPHETISCHE TRAUM

Der Minnesänger Walter von Klingen, ein reicher und frommer Mann aus freiem Stande, hatte im Jahre 1273 einen merkwürdigen Traum: Die Herren des hohen Adels, das heißt die Wähler des römischen Königs, waren alle in einem Hause zur Wahl versammelt. In ihrer Mitte stand die goldene Königskrone mit ihrem reichen Schmuck. Die Herren sprachen und verhandelten über die Königswahl. Da sagte einer von ihnen: »Wer von uns diese Krone aufzuheben vermag, soll von allen als König anerkannt werden!« Der Vorschlag gefiel allgemein und wurde angenommen. Nun versuchten alle nacheinander ihre Kräfte, aber keiner von ihnen vermochte die goldene Krone von der Erde zu lichten. Endlich kam Graf Rudolf von Habsburg an die Reihe, der sie mit kräftiger Hand emporhob und sich aufs Haupt setzte. Die Tatsache hat die Wahrheit dieser Erscheinung später bewiesen.


Quelle: Werhan Karl, Die deutschen Sagen des Mittelalters, München 1920, Band 1, Nr. 156,
aus: Leander Petzoldt, Sagen aus Wien, München 1993, Seite 14