MARTIN MUX, DER TEUFELSSCHLOSSER

Um die Mitte des 15. Jahrhunderts gab es in Wien einen ehrsamen Schlossermeister namens Erhard Marbacher, dessen Werkstätte "Zum Roten Turm" in der heutigen Seitenstettengasse stand.

Meister Erhard hatte einen Lehrling, Martin Mux, der war ein artiger und anstelliger Bursche, mit einem Gesicht wie Milch und Blut, das heißt, so es nicht von Ruß geschwärzt war. Das aber schien es an Wochentagen fast immer, denn Martin war tüchtig hinter der Arbeit her, fleißig wie eine Biene und lustig wie ein Lerchelein am Frühlingsmorgen.

Deshalb mochte ihn auch jedermann gut leiden, nur der Altgeselle Kurt, der war ihm gram, denn er neidete ihm nicht nur das Wohlwollen seines Meister, sondern auch jene Geschicklichkeit im Handwerk, darin ihm der Junge beinahe schon überlegen war. Der hämische Geselle sann nun Tag und Nacht darauf, dem Jungen ein Bein zu stellen.

Bald sollte sich die richtige Gelegenheit ergeben. Ein Lehrling, der schon länger im Geschäfte war, wurde freigesprochen, und nach damaligem Gildenbrauch lud der Altgeselle die andern Gesellen und Lehrlinge zu fröhlichem Abendtrunke ein.

Damals besuchte man gerne im sogenannten "Untern Werd" (der heutigen Leopoldstadt) eine Schenke, die ob ihres guten Tropfens weit und breit berühmt war. Dorthin führte an einem lieblichen Frühlingsnachmittag, an dem das junge Grün der Donauauen schimmerte und sonnig glänzte, der Altgeselle Kurt seine Gäste. Meister Erhard hatte Martin, dem Familienliebling, noch eindringlich auf die Seele gebunden, dem süffigen Weine ja nicht zu sehr zuzusprechen. War der Junge doch des Trinkens ungewohnt. Überdies hatte er ihm vor den andern den Auftrag gegeben, eine beträchliche Summe Geldes, deren Zahlung an jenem Tag für gelieferte Schlosserarbeit fällig war, bei ebendiesem Donauwirte zu erheben.

Bald herrschte die fröhlichste Stimmung in der Schenke. Martin nippte anfänglich nur vom starken Wein. Der Altgeselle aber, der eine Gesundheit nach der andern ausbrachte, reizte ihn mit Absicht, dem schmackhaften Tropfen stärker zuzusprechen. Es dauerte nicht lange, so klapperten auch schon die Würfel auf dem Tische. Frohgemut, vom Wein erhitzt, sah Martin dem Spiele zu. Allmählich ließ er sich auch seinerseits verleiten, ein paar Würfe zu tun.

Da trat - im Anfang von den Spielern unbemerkt - ein ganz eigenartiger Gast ins Zimmer. Er trug ein giftgrünes Wams und darüber einen kurzen schwarzen Seidenmantel mit scharlachroter Borte. Seine Spindelbeine steckten in schwefelgelben Halbstiefeln. In sein Gesicht, das stechende Augen und eine Hakennase unheimlich machten, nickte vom schief aufgesetzten Hütchen her eine mächtige lange rote Hahnenfeder.

Der seltsame Fremde stellte sich ungebeten hinter Martins Stuhl und reizte ihn unaufhörlich mit spöttischen Reden, das Spiel doch fortzusetzen. Verwirrt vom Weingenuß, des Würfelspieles ungewohnt, verlor der Junge bald nicht nur, was er gewonnen hatte, es gingen auch die wenigen Ersparnisse dahin, die er in seinem mageren Beutelchen verwahrt hielt. Da dachte er - vom Teufel dieses Spieles besessen - mit einem Male des anvertrauten Geldes, das er mittlerweile für seinen Meister eingehoben hatte. Er schüttete die blanken Groschen und Gulden vor sich aus. Rascher, als man's denken konnte, war auch dieses Geld verloren. Jetzt erst kam der arme Junge zur Besinnung, die Verzweiflung ernüchterte ihn. Unter dröhnendem Gelächter des Altgesellen Kurt und seiner Kameraden, die schon alle des Weines übervoll waren, stürzte er zur Tür und lief aus der Schenke . . .

Am Frühlingshimmel standen tausend blinkend klare Sterne, sein Herz jedoch, das krampfte sich in namenloser Angst. Planlos irrte er in den Auen umher, bis er schließlich vor das Brückentor kam, das in die Stadt zurückführte. Auch für den Torwärter hier war ihm kein Hellerlein geblieben. Alles war verjubelt und verspielt.

Ganz verzweifelt preßte Martin Mux den Kopf an die kalte Mauer und fing in seiner Not zu weinen an. Urplötzlich stand nun der seltsame Gast aus der Schenke vor ihm und legte die Hand auf seine Schulter.

"Ich will dir helfen`; sagte er mit hohler Stimme, "doch nach deinem Tode mußt du mir gehören!"

Wie ein Blitz durchzuckte es Martins Seele. "Du bist der Böse", stotterte er, "ich - ich weiß es." Und nach kurzer Überlegung meinte Martin Mux: "Ich nehme trotzdem deine Hilfe an. Doch sollst du dann nur über mich Gewalt gewinnen, wenn ich in meinem ganzen Leben ein einziges Mal die Sonntagsmesse durch meine eigene Schuld versäume. Bist du damit einverstanden?"

"Gut, ich bin es zufrieden", erwiderte der Fremde, der wirklich der Höllenfürst in höchsteigener Person war; "hier hast du vorderhand ein Beutelchen mit dem Gelde deines Meisters, bald hörst du mehr von mir."

Am nächsten Morgen erzählte der Altgeselle dem Meister Marbacher, daß Martin das ganze für ihn erhobene Geld verspielt habe. Martin seinerseits aber zählte wortlos die blanken Groschen und Gulden hin. Da kündigte Marbacher dem mißgünstigen Altgesellen die Arbeit, und als sich dieser gerade mit heftigen Worten zur Wehr setzen wollte, ging die Tür zur Werkstätte auf, und der fremde Junker von der Schenke trat ein.

Er war ebenso gekleidet wie am Abend zuvor und verlangte von Meister Marbacher ein schweres Stück Arbeit. "Ihr sollt mir", sagte er, "um einen Baumstamm, der umgekehrt, die Wurzeln in die Höh', am Roßmarkt steht, ein mächtiges Eisenband legen, das ihn für immer an das Haus dahinter ketten soll. Das Schloß jedoch muß so gemacht sein, daß nur ein einziger Schlüssel paßt. Getraut Ihr Euch ein solches Werk in meinem Auftrag auszuführen?"

Meister Marbacher schüttelte den Kopf. Auch von seinen Gesellen war niemand gewillt, die seltsame Arbeit zu übernehmen. Da trat der Lehrling Martin Mux hervor und erklärte sich bereit, dies Schloß am selben Tag noch anzuschmieden. Ein Lächeln des Bestellers hatte ihn dazu ermutigt.

Wirklich war noch vor dem Abend das Eisenband und auch das Schloß, das nur der einzig eingepaßte Schlüssel sperrte, auf dem Roßmarkt um den Baum geschmiedet. Gar stolz sah Martin Mux auf seine Arbeit, die von der Zunft sich keiner zugetraut. Der Fremde aber nahm den Schlüssel und warf ihn in die Luft. Der fiel nicht mehr zur Erde. In dieser Nacht noch war der rätselhafte Fremde aus der Stadt gereist.

Durch dieses Kunstschloß ward jetzt Martin Max Geselle und mußte nach dem damaligen Brauch auf Wanderschaft. Wohin er kam, ging ihm der Ruf besonderer Geschicklichkeit voran. So mancher grau gewordene Meister schüttelte den Kopf und dachte wohl, es ginge nicht mit rechten Dingen zu, daß ein so junges Bürschchen schon so über alle Maßen klug und tüchtig wäre.

Indessen ärgerte sich der Stadtrat in Wien halbtot darüber, daß niemand das Schloß des fremden Bestellers zu öffnen wußte. Vergebens mühte sich die ganze Schlosserzunft mit Sperrhaken und neu geschweißten Schlüsseln daran. Da versprach der Rat der Stadt Wien demjenigen das Meisterrecht, der einen Schlüssel dazu verfertigen könnte. Um diese Zeit gerade kam Martin Mux von seiner Wanderschaft nach Hause und erbot sich - kurz entschlossen - noch am selben Tag die Arbeit zu beginnen. So oft er aber seinen Schlüssel aus dem Feuer nahm, war der Bart daran verdreht.

Daß der Böse dahinterstecke, das ahnte Martin Mux. So dachte er: "Drehst du meinen Schlüssel um, so will ich dir eine Nase drehen", und setzte den Bart verkehrt ins Feuer. Als er dann den Schlüssel aus dem Feuer zog, war der Bart nun wirklich wieder umgedreht. Allein er stand diesmal, wie's Martin Mux zum Öffnen seines Schlosses brauchte.

Jetzt steckte Martin in Gegenwart des Bürgermeisters, des Stadtrichters und aller Räte und Schöffen der Stadt den Schlüssel rasch ins Schloß - im Handumdrehen war es offen.

Zum Andenken an sein Kunstschloß schlug Martin Mux den ersten Nagel in den umgekehrten Baumstamm; zudem verlieh ihm nun der Stadtrat, wie er es versprochen hatte, das Meisterrecht, ja Erhard Marbacher sogar gab ihm sein anmutsvolles Töchterlein zur Frau.

Auch weiterhin übertraf der junge Schlossermeister all seine Zunftgenossen an Emsigkeit und Geschicklichkeit. Unter anderm soll das prächtige Gittertor vor dem Hochaltar des Stephansdoms von ihm hergestellt sein. Ursprünglich - erzählt die Sage - war es nicht breit genug geraten. Da hat nun Martin Mux so lange daran gezogen, bis es die richtige Breite bekam.

Dabei war Martin Mux ein braver Ehemann, war mäßig, mied die Schenken und das Würfelspiel, besuchte fleißig auch die Kirche, und versäumte niemals am Sonntag die heilige Messe zu hören.

An einem Sonntag aber hatte er sich doch von Zunftgenossen zu einen Frühstückstrunk im Wirtshaus "Zum Steinernen Kleeblatt", das unter den Tuchlauben stand, verleiten lassen. Der Wein erhitzte seinen Kopf, und wieder griff er zum Würfelbecher. Als es elf Uhr schlug, wollte er fort, um die Messe nicht zu versäumen. Die trunkenen Kumpane hielten ihn zurück. Dröhnend gab die große "Bummerin" ihr Mittagszeichen. Martin ließ Becher und Würfel fallen und lief wie rasend zur Tür hinaus. Hinter ihm, wie ein feuerroter Schatten, folgte der Böse.

Als Martin zur Kirche kam, verkündete der Priester eben mit den Worten: "Ite, missa est!" (Geht, die Messe ist zu Ende!) das Ende des letzten Messeopfers. Wie vom Blitz getroffen sank Martin am Eingang der Kirche nieder. Am Nachmittag fand man seinen in Stücke gerissenen Leichnam auf dem Freithof von St. Stephan.

Zur Sühne dieses unglücklichen Martin Mux jedoch - er hieß fortan der Teufelsschlosser - hörte jeder Schlossergeselle, der durch Wien gewandert kam, im Stephansdom eine Messe und schlug einen Nagel in den umgekehrten Baumstrunk, der auf dem Roßmarkt dort, nach wie vor, ans Haus geschmiedet stand. Seither auch ist die Redensart bekannt: "Der ist vom Spielteufel besessen!"


So also lautet die Sage von Martin Mux, dem Teufelsschlosser, und dem seltsamsten Wahrzeichen der Wienerstadt, dem "Stock im Eisen". Roßmarkt nannte man jene Stelle, wo heute unsre Kärntner Straße in den Graben mündet. Dort wurden Pferdemärkte abgehalten und auch manche Wagnerwerkstatt, manche Schmiede stand auf dem Platz. Vermutlich ist der rätselhafte umgekehrte Baumstrunk nur ein sogenannter "Rädelbaum", wie ihn die Schmiede oder Wagner heute noch benützen. Der Brauch des Bäumebenagelns geht auf den heidnischen Wotanskult zurück.


Quelle: Die schönsten Sagen aus Wien, o. A., o. J., Seite 170