Die Wiener Schatzbeschwörung

Ich habe gehört, daß in den Vorstädten der kaiserlichen Residenzstadt von einem vornehmen französischen Minister, welcher als Gesandter an dem kaiserlichen Hof war, in einem gewissen Garten ein Schatz sei gesucht worden, welchen man, wie man vorgibt, in der ersten Belagerung Wiens dorthin soll vergraben haben. Bei dieser Beschwörung sollen sehr merkwürdige Umstände vorgegangen sein, welche ich daher gerne von dir vernehmen möchte.

So stille man geglaubt hat, diese Sache zu behandeln, so kundbar wurde sie doch innerhalb weniger Tage in der ganzen Stadt. Es wurde ein solches Aufsehen darüber gemacht, daß sich derselbe Minister auf den sogenannten Kahlenberg in das dortige Kloster zurückziehen mußte, um den Leuten aus den Augen zu kommen. Dieser gute Herr mußte sich also gefallen lassen, aus einem Schatzgräber zu einem halben Mönch zu werden. Ich will dir die ganze Sache in ihrer Ordnung erzählen, wie sie mir vor einigen Wochen von Wien aus zugesendet worden. Es ging nämlich besagter Minister am Gründonnerstag nebst zwei Ordensbrüdern und einem andern, in der Schwarzen und Weißen Kunst sehr wohl erfahrnen Meister, zusammen hinaus in den sogenannten Augarten, welcher außerhalb der Leopoldstadt liegt. Ihr Vorwand war, sie wollten eine Promenade machen. Sie ließen auch wirklich abends bei dem Wildwärter eine Fasten-Collation zurichten; da sie unterdessen sich eine einjährige Haselstaude ausgesucht, von welcher sie die Wünschelrute schneiden wollten. Zu dieser Zeremonie hatten sie zuvor in einer gewissen Konstellation ein Messer mit drei Kreuzen und den planetischen Zeichen der Sonne und des Mondes schneiden lassen. Darauf bezeichneten sie selbige Staude mit einer darauf gehängten priesterlichen Stola und schmierten etwas vom heiligen Chrysam dran, welcher eben an demselben Tag war konsekriert worden. Sie verweilten auch indessen in dem Haus des Wildaufsehers. Als die Mitternacht heranrückte, begaben sie sich wieder dahin, und schnitten diese geheiligte Rute ab, bedienten sich dabei einer gewissen Beschwörungsformel; welche ich aber hierher zu setzen Bedenken trage. Mit einem Wort, sie wollten derselbigen solche Kraft dadurch einprägen, als etwa der Stab Moses mag gehabt haben. Wie weit es ihnen darinnen geglückt, wird sich bald zeigen. Nach diesen verrichteten Zeremonien ruhten sie die übrige Nacht aus und gingen ganz früh in die Stadt, die Mönche aber in ihr Kloster, um sich der gewöhnlichen Fasten bis zur Osternacht zu bedienen. Daraufkamen sie abgeredtermaßen am heiligen Osterabend um sieben Uhr mit allen Notwendigkeiten in dem bewußten Garten zusammen, um alles zu veranstalten, was sie zu ihrer Geisterbeschwörung nötig hätten. Gegen halb zwölf Uhr, da die zwölf geweihten Lichter schon in dem Kranz angezündet waren, gingen sie an den Ort des vermeinten Schatzes, welchen sie durch das Schlagen der Rute ausgeforscht zu haben glaubten. Die zwei Mönche zogen ihre priesterliche Kleidung an, der Minister aber und die zwei andern ihre weißen Hemden, welche durch eine zwölfjährige Jungfrau hatten müssen verfertigt werden. Als dieses geschehen, fingen sie, ohne ferner ein Wort zu sprechen, zusammen an, die sogenannten fünfzehn Psalmos graduales oder Staffelpsalmen auf den Knien zu beten; nach diesen auf den Gesichtern liegend die Litanei von Allerheiligen: darauf ruhten sie etwas aus, bis in der Hauptkirche zu St. Stephan die Uhr schlug. Sobald man dieselbe schlagen hörte, fing der Meister der Kunst an, zwischen den Zauberlichtern seinen Zauberkreis zu formieren, in welchem jedweder auf seinem ihm angewiesenen Ort stehenbleiben mußte. Die Beschwörung nahm also ihren Anfang und dauerte wohl eine halbe Stunde fort, ehe sie die geringsten Wahrzeichen eines gehorsamen Geistes spüren konnten. Sie wiederholten die Beschwörung, aber es war wieder ohne Wirkung. Darauf fingen sie die dritte und stärkste an. Alsbald erhob sich ein grausamer Wind, welcher den Mönch und den Minister zu Boden schmiß: die andern drei konnten sich dagegen kaum erhalten. Alle Lichter wurden ausgelöscht, auch sogar diejenigen, welche sie in den Laternen versteckt hatten. Endlich kam etwas spornstreichs auf sie zugeritten und sie erblickten in der Finsternis ein blankes Schwert (nach der Aussage soll der Geist in türkischer Kleidung erschienen sein): Es galoppierte aber vor ihnen vorbei. Darauf entstand noch ein größeres Sausen und Brausen eines gewaltigen Windes, welcher sie abermals insgesamt zu Boden schmiß, und sie dergestalt betäubte, daß keiner wußte, wie ihm zumute war, bis es Tag wurde, und sie etwas zu sich selbst gekommen waren. Da sahen sie nun einander voller Verwunderung an, waren so blaß wie die Leichen und mußten also unverrichteter Sachen wieder nach Hause gehen. Der Minister wurde auf 14 Tage bettlägrig, ehe er sich nach dem Kahlenberg zurückzog; und derjenige, so diese ganze Geschichte ausgesagt hat, bekam eine garstige Krätze über das Angesicht. Was die drei andern davongetragen, hat man nicht erfahren können. Und das ist die eigentliche Beschaffenheit dieser Geschichte, welche sich 1723 in der Wiener Vorstadt zugetragen hat. Es werden vielleicht die meisten davon, absonderlich der Minister, in Paris noch am Leben sein.

Quelle: Peuckert, Will-Erich, Die Sagen der Monathlichen Unterredungen Otto von Grabens zum Stein, Berlin 1961, Nr. 182