Waldteufel

Es ist schon mehr als 500 Jahre her, da wohnte auf der Viehweide auf der Wieden ein wohlhabender Bindermeister. Sein Haus lag etwas abseits von der Straße und war mit seinen Werkstätten und Lagerschuppen recht stattlich anzusehen. Meister und Gesellen hatten stets die Hände voll zu tun, um alle
Wirte der Umgebung mit Weinfässern zu versorgen.

Elsbeth, die achtzehnjährige Tochter des Meisters, führte dem Vater den Haushalt und sorgte in jeder Weise für ihn und die Gesellen. Immer, wenn der Meister sein Töchterlein ansah, lachte ihm das Herz im Leib, so hübsch und freundlich war es. Mit den groben Wirtsknechten konnte Elsbeth so fröhlich scherzen, als ob sie ihre Brüder wären, dabei wußte sie doch immer, was recht und schicklich war.

"Was erzählt ihr da für sonderbare Geschichten?" fragte sie eben einige Knechte, die im Hof beisammen standen und auf ihre Fässer warteten.

"Ei, Elsbeth, das ist nichts für die Ohren eines Mädchens", entgegnete ihr einer der Gesellen und wollte das Gespräch abbrechen.

"Ihr könnt ruhig weitererzählen", lachte das Mädchen, "ich habe euch von diesem Verstecke aus belauscht und alles mitgehört." Dabei zeigte sie auf einen hohen Stoß Faßdauben, die zum Trocknen aufgestapelt waren.

"Aber das sage ich euch", fuhr sie fort, "es ist eine Schande für die Stadt und für alle Männer dazu, daß sie dem Waldteufel nicht das Handwerk legen können."

"Was weißt du vom Waldteufel?" entgegnete ärgerlich ein besonders starker Wirtsknecht.

"Was ich weiß, das sollst du gleich erfahren. Hans Aufschring heißt der Waldteufel, und die ganze Gegend um den Wienerberg zittert vor ihm. Kein Fuhrwerk wagt im Dunkeln die Triesterstraße entlangzufahren, weil der Wirt der Teufelsmühle bei Siebenhirten mit im Spiele ist. Bei Tag verstecken sich die Mordgesellen in den Wäldern, aber wenn es dunkel wird, gehen sie auf Raub und Plünderung aus. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine neue Mordtat bekannt wird, Die Behörden in der Stadt wissen sich keinen Rat mehr und sind froh, daß Aufschring sein teuflisches Handwerk nur außerhalb der Stadtmauern treibt. Aber ich sage euch, wenn ich nur drei Männer wüßte, die starke Arme und das Herz am rechten Fleck haben, ich getraute mir den Räuber einzufangen."

Damit ließ sie die verdutzten Knechte stehen und ging ins Haus. Die einen unter ihnen lachten über das verrückte Ding, andere aber dachten, daß Elsbeth einen klugen Kopf besitze und wahrscheinlich schon einen bestimmten Plan haben müsse, sonst hätte sie nicht so herausfordernd gesprochen.

Drei mutige Burschen, die selbst gerne ein Abenteuer erleben wollten, suchten eine Gelegenheit, um Elsbeth im geheimen zu sprechen, Wenn sie wollte, so sagten sie, kämen sie gerne mit, um den Waldteufel zu fangen.

"Wenn ihr den Mut dazu habt", flüsterte ihnen Elsbeth zu, "dann kommt morgen, vor dem Hahnenschrei zu diesem Busch, der dort auf der Viehweide steht."

Als der Meister am nächsten Morgen aufstand, wunderte es ihn sehr, daß er Elsbeth nirgends hören konnte. Sie war doch immer vor ihm aus den Federn. Er ging in ihre Kammer, fand sie aber leer. In der Küche war der Herd kalt, und Tür und Tor des Hauses standen angelweit offen. Der besorgte Vater rief Elsbeths Namen und suchte das Haus vom Dachboden bis zum Keller ab. Er weckte auch die Gesellen, daß sie ihm dabei helfen sollten. Aber alles Rufen und Suchen blieb vergeblich, das Mädchen war verschwunden. Niemand wußte
etwas von ihm.

Da hielt es der Vater nicht mehr zu Hause aus. So rasch ihn die Beine trugen, eilte er in die Stadt. Alle Bekannten, denen er begegnete, fragte er, ob sie Elsbeth nicht gesehen hätten. Niemand konnte ihm etwas über sie sagen. So kam er bis in die Kärntnerstraße und kehrte bei seinem Freunde, dem Gastwirt Sebastian Guntl, ein. Dem Wirt fiel das traurige Gesicht seines Freundes auf, und er fragte ihn: Was ist dir über die Leber gekrochen, Meister Faßbinder, daß du ein Gesicht machst wie drei Tage Regenwetter? Nimm einen guten Schluck bei mir, das gibt dir wieder Lust zu leben."

"Ach, lieber Guntl, es wäre mir lieber, du könntest mir sagen, wo meine Elsbeth hingekommen ist. Sie ist mir spurlos aus dem Hause."

"Deine Elsbeth?" tat der Wirt erstaunt, "die war doch heute in ganz früher Stunde bei mir. Der Morgen war noch grau und kaum ein Mensch auf den Beinen. Einen Wagen borgte sie mit zwei starken Pferden. Drei feste Burschen waren mit ihr. Da dachte ich mir, du hättest eine dringliche Fuhre und lieh ihr Roß und Wagen."

"Wohin ist sie gefahren?" fiel ihm der aufgeregte Vater in das Wort.

"Ja, lieber Meister, da fragst du mich zuviel. Sie hatte es sehr eilig, und einer der drei Burschen lenkte den Wagen zur Stadt hinaus."

"Mein Gott, was ist nur mit meiner guten Elsbeth geschehen?" jammerte der Vater, "ein böser Geist muß in sie hineingefahren sein."

"Tröste dich, lieber Freund, vielleicht kommt sie ebenso schnell wieder, wie sie fortgezogen ist, Junge Leute wissen oft nicht, was sie tun."

Während der Gastwirt Guntl so mit dem betrübten Faßbinder sprach, rollte der Wagen hurtig die Triesterstraße nach Süden. Jetzt hatte Elsbeth Zeit, ihren Plan genau zu überlegen und ihren Begleitern mitzuteilen.

"In Wiener Neustadt", erzählte sie den drei Neugierigen, "wohnt der bekannte Waffenschmied Klingsporner. Mein Vater ist gut befreundet mit ihm. Klingsporner besitzt einen Eichenstuhl, der ist so kunstvoll gebaut, daß
jeder, der sich hineinsetzt, sich selbst zum Gefangenen macht. Unter der Sitzfläche ist nämlich ein Federwerk angebracht, das bewirkt, daß in jenem Augenblick, da jemand den Sitzpolster niederdrückt, sich von allen Seiten eiserne Fangarme um ihn schlingen. Ich habe den Stuhl als Kind einmal gesehen und das Kunstwerk bis heute nicht vergessen. Wenn Klingsporner uns den Sessel leiht, soll mir der Waldteufel eine sichere Beute sein."

"Wie willst du das anstellen?" fragte einer der drei, dem die Sache doch nicht recht geheuer vorkam.

"Das laß nur meine Sorge sein. Seht ihr zu, daß wir nicht zu spät nach Wiener Neustadt kommen."

Die drei Burschen bewunderten den Mut und die Klugheit des Mädchens und trieben die Pferde zur Eile an. In den frühen Nachmittagsstunden erreichten sie die Stadt. Sofort begab sich Elsbeth zu dem Waffenschmied und bestellte herzliche Grüße von ihrem Vater. Nach kurzem Gespräch brachte sie ihre Bitte vor. Mit schönen Worten wußte sie Klingsporner zu überlisten, daß er ihr den Fangsessel lieh, ohne daß sie ihr Geheimnis preisgeben mußte. Die drei Knechte stellten den schweren Stuhl auf den Wagen und warfen einige Decken
darüber.

Der Schmied bewirtete seine Gäste und wollte allerlei Neuigkeiten aus Wien hören. Elsbeth hatte aber keine rechte Lust zum Plaudern. Die Reise hätte sie sehr angestrengt, sie, und darum möge der Meister nicht böse sein, wenn sie sich rechtzeitig zur Ruhe begebe.

Als die vier am nächsten Tag in die Nähe der Wienerstadt kamen, stand die Sonne schon tief im Westen, Elsbeth sprach wenig, aber ihr Herz pochte heftig. Wenn sie es auch nicht zugeben wollte, sie hatte doch kein gutes Gefühl. Was würde geschehen, wenn der Plan mißlang?

Unterdessen waren die ersten Sternlein aufgestiegen, und wenn nicht alles täuschte, mußte das dunkle Gebäude an der Straße die Teufelsmühle sein. Und sie war es wirklich. Einer der Knechte begehrte Einlaß. Nach geraumer Zeit schlurfte der Wirt herbei, leuchtete den späten Gästen ins Gesicht und öffnete hierauf das schwere Tor.

"Herr Wirt", fragte Elsbeth freundlich, "habt Ihr nicht ein Stübchen für mich, in dem ich die Nacht in Ruhe verbringen kann?"

"0 gewiß", beteuerte der Wirt eilfertig, "ich will Euch meine schönste Kammer geben. Wie schade, daß meine Frau nicht im Hause ist, daß sie Euch zu Diensten sein könnte. Wenn Ihr Euch aber selbst behelfen wollt, so will ich Euch das Zimmer zeigen." Damit stieg er die Wendeltreppe empor. Elsbeth und zwei Knechte mit dem verdeckten Stuhl folgten ihm.

Das Mädchen war gerade dabei, sich die Haare zu kämmen, als jemand an die Türe klopfte. Auf ihre Aufforderung trat ein Mann ein und brachte kaltes Fleisch und Wein. Das war niemand anderer als Aufschring, der Räuber, den die Leute den Waldteufel nannten. Elsbeth wußte es gleich, doch nahm sie all ihren Mut zusammen, um sich nichts anmerken zu lassen.

Mit habgierigen Augen musterte der Fremde das sonderbare Gepäckstück. Als er die Speisen auf den Tisch gestellt hatte, fragte er: "Was ist unter dieser Decke verborgen?" Elsbeth antwortete nicht gleich. Da wurde sein Blick finster und unheimlich. Es war eine gefährliche Lage für Elsbeth doch sie nahm alle Kraft zusammen und sagte lächelnd: "Seht doch selbst nach, wenn Ihr schon so neugierig seid!" Vorsichtig schlug Aufschring die Decke zurück und lachte laut, als er den Sessel sah.

"Gefällt Euch der Stuhl? Er ist ein altes Erbstück und mir sehr lieb, darum wollte ich es nicht in der feuchten Nachtluft auf dem Wagen stehen lassen. Kommt, setzt Euch und leistet mir ein wenig Gesellschaft!" Mit diesen Worten rückte sie den Stuhl näher an den Tisch heran und zwang den Waldteufel mit
sanftem Druck, darin Platz zu nehmen.

Der Räuber, dem solche Liebenswürdigkeit fremd war, ließ es sich gerne gefallen. Doch kaum hatte er in dem Stuhl Platz genommen, trat der Mechanismus in Tätigkeit, und von allen Seiten legten sich eiserne Fangarme
um seinen Körper.

Zu spät erkannte der Waldteufel die List des Mädchens. Er tobte und fluchte fürchterlich, Elsbeth aber riß das Fenster auf und rief ihre Begleiter herauf. In wenigen Sprüngen waren sie zur Stelle. Auch der Wirt kam auf das Gebrüll des Waldteufels gelaufen. So rasch konnte er sich gar nicht umsehen, als ihn die kräftigen Männer gepackt und mit festen Stricken gebunden hatten. Beide Übeltäter wurden nun auf den Wagen geladen und nach Wien gebracht.

In aller Morgenfrühe rollte das Gefährt mit der seltsamen Fracht durch das Stadttor. Die Kunde, daß die Faßbindertochter den Waldteufel gefangen habe, lief wie der Wind von Haus zu Haus. Als der Wagen vor dem Guntlwirtshaus anhielt, hatte sich schon eine große Volksmenge angesammelt. Die Männer und Frauen von Wien ballten die Fäuste gegen die beiden Unholde und wünschten ihnen den baldigen Tod. Elsbeth, die in der Menge ihren Vater erkannt hatte, sprang flugs vom Wagen und eilte auf ihn zu. Sie umarmte und küßte ihn
herzlich, und beide waren überglücklich.

Die würdigen Stadträte nahmen die Gefangenen in Verwahrung und priesen Elsbeth als die Retterin Wiens.

Die beiden Räuber wurden vor Gericht gestellt und am 24. Jänner 1371 auf dem Hohen Markt öffentlich hingerichtet.

An Elsbeth und ihre mutige Tat erinnert heute noch der Engelbrunnen auf der Wiedner Hauptstraße, Ecke Schaumburgergasse. Er zeigt ein Mädchen, das seine herabhängenden Zöpfe auflöst; ihm zur Seite hocken zwei gefesselte Unholde.Aus dem weit-geöffneten Mund der beiden springt das Wasser in den Behälter
des Brunnens. Dieser ist ein Werk des Bildhauers Anton Wagner. Das Geld zur Errichtung des Brunnens stiftete der Wiedner Bürger Viktor Engel, nach dem er auch den Namen trägt: Engelbrunnen.

Quelle: Wien in Sage und Legende, Zens, Klemens, Wien 1955
Email-Zusendung