DIE LIEBSTE FARBE DER GEISTER

In der kleinen Ortschaft Siebenhirten, an der Straße, die von Wien nach Baden führt, stand vor langer Zeit eine alte verlassene Mühle, die von Tag zu Tag immer mehr verfiel. Keiner der Bewohner der umliegenden Dörfer wagte sich in ihre Nähe, denn es wurde erzählt, daß es dort in der Nacht spuke.

Am Hofe des Herzogs wurde ein großes Fest abgehalten und viele stolze Ritter waren als Gäste geladen. Manche Geschichte wurde zur Kurzweil der Anwesenden erzählt, darunter auch die Spukgeschichte über die alte Mühle. Der Herzog, der schon lange neugierig war, was denn Wahres daran sei, rief einem jungen Ritter, Reinprecht von Wallsee zu: "Herr Ritter, Ihr seid doch ein tapferer Kämpfer und immer begeistert von neuen Abenteuern! Reitet hinaus zur Mühle nach Siebenhirten und schaut nach, was dort passiert."

Ohne Zaudern ließ Reinprecht sein Pferd satteln, rief seinen Knappen und ein paar kräftige Knechte herbei und machte sich mit ihnen auf den Weg. Es dunkelte bereits, als sie von einem Hügel aus die Mühle erblickten. Am Wegrand saß ein müder Wandersmann und grüßte sie ehrerbietig. "Wohin wollt Ihr zu so später Stunde?", fragte er den Ritter.

"Wir sind auf dem Weg in die Mühle und wollen den Geistern beim Abendessen Gesellschaft leisten!", rief Ritter Reinprecht übermütig. Der Wanderer warnte ihn: "Ihr solltet lieber nicht hineingehen, denn mit den Geistern wohnt es sich nicht gut unter einem Dach!" - "Wir wollen ja nicht ewig dort bleiben", lachte der Jüngling, "sie sollen uns nur ihre liebste Farbe kundtun."

Die kleine Schar setzte ihren Weg fort und ritt in den Hof der Mühle ein. Zuerst wurden die Pferde untergestellt und versorgt, dann betraten sie die verfallene Mahlstube. Nachdem er eine Fackel entzündet hatte, ließ Reinprecht sich von seinem Knappen Speise und Trank zubereiten. Der Ritter wollte die Nacht Wache haltend in der Stube verbringen, während der Knappe und die Knechte bei den Pferden bleiben sollten. Doch die Stunden verrannen nur langsam und so trank der Jüngling einen Becher Wein nach dem anderen, bis er sanft entschlummerte.

Am nächsten Morgen fragte Reinprecht seine Leute, ob während der Nacht etwas Verdächtiges vorgefallen sei. Sie lachten herzlich, starrten dabei auf seinen Helm und sagten: "Bei uns nicht!" Der Ritter nahm den Helm ab und sah, daß sein weißer Federbusch, der die Kopfbedeckung zierte, über Nacht schwarz geworden war. Er ärgerte sich sehr, daß er eingeschlafen war und nahm sich vor in der nächsten Nacht keinen Wein mehr zu trinken.

Die Männer verbrachten den ganzen Tag auf der Jagd und als sie einen kapitalen Hirsch erlegt hatten, ritten sie zurück zur Mühle. An der gleichen Stelle, an der sie am Vortag den Wandersmann getroffen hatten, saß nun ein junges Mädchen, das Reisig gesammelt hatte. Ängstlich blickte es den Reitern entgegen.

"Fürchte dich nicht! Du solltest dich beeilen, denn die Nacht bricht schon herein!", sprach der Ritter freundlich. "Habt vielen Dank für Eure Sorge, Herr Ritter! Ich will für Euch ein Gebet sprechen, damit kein Teufel Euch schaden kann", erwiderte das Mädchen schüchtern und setzte seinen Weg fort.

Reinprecht und seine Männer erreichten die Mühle und nahmen ihre Plätze ein, wie in der Nacht zuvor. Der Ritter blieb die ganze Nacht wach und als bis zum Morgen nichts Außergewöhnliches geschehen war, beschloß er das Abenteuer zu beenden. Als er dann aber seine Männer draußen im Hof sah, die eingeschlafen waren, weil sie den Wein zu üppig genossen hatten, war die Überraschung groß. Alle waren sie von Kopf bis Fuß schwarz mit Asche bestäubt. Nun mußten sie doch noch eine Nacht in der Mühle verweilen, um die Geister zu Gesicht zu bekommen.

In dieser dritten Nacht blieben alle zusammen in der Mahlstube sitzen. Lange Zeit war es völlig still und man hörte nur ab und zu ein Käuzchen rufen. Doch dann schlug es von der nahen Turmuhr Mitternacht und im selben Moment begannen sich die morschen Mühlräder zu drehen und die schweren Mahlsteine bewegten sich mit ohrenbetäubendem Lärm. Der Knappe und die Knechte sahen ihr Heil nur in der Flucht und auch Ritter Reinprecht, dem das alles nicht geheuer war, verließ überstürzt die Stube. Den Rest der Nacht verbrachten die Männer bei ihren Pferden in unruhigem Schlaf.

Am nächsten Morgen war das Erstaunen groß, denn alle Männer waren zur Gänze mit Mehlstaub bedeckt. Drei Nächte lang hatten die Geister der Mühle ihren Schabernack mit den Männern getrieben und Ritter Reinprecht von Wallsee mußte sich damit abfinden, daß der Herzog und mit ihm ganz Wien über sein Abenteuer lachten.

Quelle: Wien in seinen Sagen, Eva Bauer, Weitra 2002, S. 331