Der Flug über die Donau

Wiegand verkaufte auch eigenen Wein an die zahlreichen Besucher des Kahlenberges. In guten Jahren war dadurch das Einkommen der Pfarre gesichert, doch im Jahr 1331 verursachte ein früher und nasser Herbst eine Missernte. Der Wein war sauer und nahezu ungenießbar. Die Bauern, die bisher gerne den Gottesdienst im Kahlenbergerdorf besucht hatten, auch weil sie sich danach an dem guten Wein stärken konnten, besuchten jetzt lieber nähere Kirchen und so musste Meister Wiegand einen Plan ersinnen, wie er wieder die Besucher in seine Ortschaft locken konnte.

Kahlenbergerdorf © Harald Hartmann
Ansicht Kahlenbergerdorf am Südhang des Kahlenberges
Wiegand von Theben war hier von 1330 (?) bis 1339 Pfarrer
© Harald Hartmann, Herbst 2004

Im heißen Sommer des Jahres 1332 ließ der Pfaff vom Kahlenberg durch seine Leute in der weitesten Umgebung verkünden, dass er am folgenden Sonntag vom Kirchturm aus über die Donau fliegen werde. Voll Neugierde strömten viele Menschen aus Nah und Fern an diesem Tag ins Kahlenbergerdorf. Der kluge Pfarrer verzögerte aber das angekündigte Schauspiel und wegen der großen Hitze tranken die Bauern sogar den schlechten Wein des Vorjahres. Erst als die Vorräte zur Neige gingen, bestieg Meister Wiegand mit ernster und wichtiger Miene den Turm, betrachtete die gaffende Menge und fragte sie schließlich:

"Habt ihr schon einmal einen Menschen fliegen gesehen?"

Als dies verneint wurde, sagte er ganz ruhig:

"Dann werdet ihr mich auch nicht fliegen sehen!"

und stieg vom Turm herab. Zuerst brach ein wütender Tumult aus, aber dann begannen immer mehr Leute über die List des Pfarrherrn und ihre eigene Dummheit zu lachen.

Quelle: Erzählungen aus dem Kahlenbergerdorf in Schulunterlagen aus der Volksschule Kahlenbergerdorf, 1954-1957, nach: aus J. W.Holczabek, A. Winter "Sagen und Geschichten der Stadt Wien", 1894, Emailzusendung vom 15. November 2004 von Harald Hartmann.