Das Wassermännchen vom Ottakringer Bach

Am Ende der Liebhartstalstraße beginnt der Übergang zum "Ottakringer Gemeindewald", einem Randteil des Wienerwaldes. Einst und jetzt befindet sich hier das Quellgebiet des ehemaligen Ottakringer Baches. Als jener noch nicht in Röhren und Kanälen erfasst und zusammengeschnürt war konnte der Ottakringer Bach, man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen, zum reißenden Wildbach werden. Vor allem im Jahr 1906, so ist uns auch mittels Fotoaufnahmen überliefert, war vom Liebhartstal aus bis hinunter zum "Alten Ort", etwa im Gebiet des heute noch bestehenden Heurigenlokales "10er Marie" gelegen, zur Zeit der Schneeschmelze alles hoch überschwemmt gewesen.

Zehnermarie im 16. Wiener Gemeindebezirk © Harald Hartmann

Der Heurige Zehnermarie "10er Marie"
© Harald Hartmann, September 2007


Seit 1910 sind die Wiener Bäche aus dem Stadtbild verschwunden. Alle wurden sie eingewölbt und fließen nun unterirdisch, der Lainzer Bach, der Mauerbach, der Rosenbach, der Ameisbach ebenso wie der Ottakringer Bach - und sie alle münden in die Wien. Die Bäche jenseits der Wasserscheide, wie z.B. der Alserbach, münden in den Donaukanal. Das dem Ottakringer Wald entspringende Wasser fand einst entsprechende Anerkennung und Würdigung. Es wurde seinerzeit in Quellstuben erfasst und über die sogenannte "Graf Schönbornsche Wasserleitung" in Holzröhren, ab 1753 bis hinein in den "Schweizerhof" der Wiener Hofburg geleitet. Weshalb sie auch als "Hofwasserleitung" bezeichnet wurde.

Wie gesagt, das war alles vor der Regulierung des Ottakringer Baches. Quellgebiete werden bekanntlich von Wassermännchen bewacht, allerdings ziehen sich jene in fernere Orte zurück wenn die Besiedelung durch die Menschen zu nahe an die Quellorte rückt. So auch hier bei uns. Aber in jener ferner Zeit zu welcher, wie schon angeführt, die Menschen noch viel weiter weg angesiedelt waren und die Quellwässer ihren freien Lauf hatten, wohnte und wachte ein Wassermännchen dort am Fuße des steil ansteigenden Wienerwaldes, welchen schon die alten Römer schätzten und als "mons cetius", das Waldgebirge bezeichneten.

Über Wassermännchen ist vielerlei überliefert, so auch über deren Zauberkräfte welche sie im Guten, aber auch im Bösen anwenden konnten. Im Bösen vor allem wenn ihnen jemand ein Leid zufügen wollte oder aber den von ihnen bewachten Quellen zu nahe kam und diese zu verschmutzen drohte und dadurch die Qualität des Wasser gefährdete.

Das einst an dem beschriebenen Orte wachende Wassermännchen soll sehr sehr sorgsam seinen Aufgaben nachgekommen sein und besonders aggressiv die Reinheit des Quellwassers gehütet haben. So, wird uns überliefert, soll es jeden der sich auch nur der Quelle näherte in ein Kleintier verwandelt haben.

Eines Tages kam ein müder Wanderer vorbei und wollte sich an der Quelle mit dem klaren kühlen Wasser erfrischen. Völlig erschrocken wurde er des Wassermännchens gewahr. Dieses blickte den Wanderer finster an und sagte: "Ich werde dich verzaubern. Aber weil ich guter Laune bin, kannst du dir aussuchen, ob ich dich zu einer Mücke oder zu einer Spinne machen werde. Sprich eine Behauptung aus. Ist sie richtig, so werde ich dich in eine Mücke verwandeln, ist sie falsch, so sollst du fortan als Spinne leben!"

Der erschrockene Wandersmann dachte eine Weile nach um eine Lösung zu finden und sich so vor der drohenden Verwandlung zu retten. Dabei richtete er ein andächtiges Gebet an seinen Schutzengel welcher ihm dabei helfen solle eine Behauptung aufzustellen, wonach er weder in eine Mücke noch in eine Spinne durch das Wassermännchen verwandelt werden könnte.

Offenbar hat dieses Gebet genützt, denn blitzartig kam ihm die Erleuchtung welche Antwort ihm dabei zur Hilfe käme. Eigentlich war es eine ganz einfache Lösung und so erklärte er dem Wassermännchen:

"Ich werde in eine Spinne verwandelt werden!" Wäre diese Antwort richtig gewesen, hätte ihn das Wassermännchen in eine Mücke verwandeln müssen, was im Widerspruch zur gestellten Aufgabe gewesen wäre. So musste wegen dieser schlauen Antwort das Wassermännchen ihn unbeschadet ziehen lassen.

In der Folge hat der Wanderer seinen Mitmenschen von der Gefahr, welche durch das Wassermännchen drohe, berichtet. Zeitzeugen konnten sich dadurch das Verschwinden des einen oder anderen Mitbürgers/Mitbürgerin, welches sich im Laufe der Zeit ereignet hatte, nun endlich erklären.

So wurde der Quellort fortan von den Menschen gemieden. Sie wussten nicht das auch das Wassermännchen aus den Veränderungen der Zeit die Konsequenzen zog. Denn wie schon zu Beginn beschrieben scheuen sie die Nähe der Menschen. Da sich aber durch die ausbreitende Besiedelung diese immer mehr dem Quellursprung näherten verschwand es eines Tages und zog sich an einen bis heute unbekannt gebliebenen Ort zurück.

Quelle: Ferry Kovarik, nach historischen Qellen neu nacherzählt, Emailzusendung vom 27. Mai 2005