WO SOLL ICH'S HINTUN ?

Ein braves und beherztes, aber wortschnelles Mädele aus Hohenweiler ging einmal am Abend mit Spinnrad und Kunkel in des Nachbars Haus auf den Heimgarten. Der Weg führte es an einem Buchwald vorbei, von dem allgemein die Sage ging, er sei nicht kauscher, weil seit Jahren ein Geist darin hause. Wirklich sah das Mädele, als es den Abend an dem Wäldchen vorbeikam, eine dunkle Menschengestalt, wie sie unstet auf und nieder schritt und kläglich wimmerte: "Wo soll ich's hintun?". Die derbe schwäbische Jungfrau ohne Furcht und Tadel rief: "Du Narrl wo du's her hast!" Kaum war das Wort heraus, da sprang die Gestalt fast in einem Satz auf sie zu und griff an die Kunkel, daß der Flachs daran alsogleich in lichterloher Flamme aufging. Auf diesen Überfall war die beherzte Jungfrau denn doch nicht gefaßt und sie lief erschrocken über Stock und Stein in des Nachbars Haus. Als sie dort bei Kerzenlicht ihre nackte Kunkel besah, so war darin das Mal von fünf Fingern eingebrannt. Seit der Zeit aber war der Geist erlöst und es spukte nicht mehr im Buchenwald.


Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 2, Seite 51