DIE WILDEN FRAUEN AUF DEM TANNBERG

Auf dem Kirchenplatz am Lech, wenn man vom Friedhof über den Eisengatter herauskommt zur rechten Hand, wo jetzt gegen den Pfarrhof hin ein Palisadenzaun von der Friedhofsmauer bis auf das Eck hinübergeht, da ist vor alten Zeiten eine Tanzlaube gestan- den. Da haben die jungen Leute am Sonntag Nachmittag nach der Vesper getanzt bis zum Abend, was gibst du, was hast du.

Wie die Tanzlaube noch gestanden ist und die Buben und Maika miteinander getanzt haben: Walzer, aus der Hand und Appenzeller - vom Polgger hat da kein Mensch nichts gewußt, grad so wenig wie vom fremden Hääß - da sind da bei schönem Wetter in Sommerszeiten von den Flüer Schröfen herab, kerzengerad herab, prächtige, wunderschöne Weibsbilder gekommen und haben sich auf der Tanzlaube auf den Hoha niedergesetzt und haben den Tanzenden zugeschaut wie andere Leute auch. Und man hat mögen glauben, es wäre ihnen fast auch ein bißchen in die Füße gekommen, wenn die Spielleute recht lustig aufgemacht und die Buben recht mit den Füßen den Takt getreten und gestampft und mit beiden Händen auf den Lederhosen getatschet haben.

Sie haben aber niemand etwas Liebs oder etwas Leids getan, und ihnen hat auch niemand etwas getan. Man hat sie nur so angeschaut, wie weiß und zart sie waren. Und am Abend, wenn die Sonne hinuntergegangen ist, da haben die wilden Jungfrauen gesagt: "D' Sonna gaid z' gnada, iaz müaßa miar wider da Grada!" Und da sind sie fort, gritzgrad hinauf bis ganz unter die Schröfen, und dort sind sie auf einmal wieder verschwunden.

So sind die wilden Jungfrauen oft und vielmal gekommen und haben dem Tanz zugeschaut. Einmal aber hat ein Bub eine von den schönen Jungfrauen bei der Hand genommen und hat sie wollen zum Tanzen aufziehen. Von dort an ist es ausgewesen. Am selben Abend sind sie hinaufgegangen wie früher, aber gekommen sind sie nimmer und kein Mensch hat seither wilde Jungfrauen mehr gesehen.


Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 154, Seite 129