DAS FRÄULEIN VON RUGGBURG

Auf der Ruggburg ist vor Zeiten ein Fräule gewesen, das schönst in der Gegend. Menger Ritter hat es wollen zur Frau, aber das Fräule ist, ich weiß nicht wie, viel zu ernstlich gewesen und hat nicht wollen mannen. Einmal geht es an einem Abend spazieren und trifft eine Bettlerin, die grad am Weg da strickt, und die klagt dem Fräule die Not und weint und erzählt, was sie schon habe mitgemacht im traurigen Leben: "Ihr tätet's nicht glauben, gestrenges Fräule, was ich meiner Lebtag habe gelitten, und Ihr wisset halt eben nicht, was Kummer und Sorge ist". Mein Fräule schmöllelet: "Ei, sag mir, was Kummer und Sorge ist", und gibt dem Weiblein ein Bießle (Zehnkreuzerstück). Das Bettlerweible aber gibt dem Fräule den Knäuel Garn und sagt: "Da traget den Knäuel in den Tannenwald hinauf, bis ihr die Seel findet vom Knäuel, dann erfahrt Ihr bestimmt, gestreng Fräule, was Kummer und Sorge ist." Mein Fräule nimmt den Knäuel und geht munter in den Tannenwald hinauf und windet vor ihm hin den Knäuel ab. Jetzt, da fängt es langsam zu dämmern an, und mit der Dünkle geht der Knäuel aus, und meinem Fräule bleibt eine Baumnuß, auf die der Knäuel gewunden gewesen, in der Hand, und die Baumnuß ist die Seel vom Knäuel, und mein Fräule sieht jetzt freilich ein, was Kummer und Sorge ist. Das zarte Ding steht jetzt in einem schwarzen Tannenwald, mutterseelenallein, weiß keinen Weg, keinen Steg zum Schloß zurück, hat Hunger und Durst, hat nichts zu essen und nichts zu trinken, möchte schlafen und hat kein Bett, möchte sich wärmen und hat keine Stube. Da fängt es an zu weinen und verspricht, wenn es wieder zu Leuten komme, gehe es ins Kloster. Drauf geht es immer weiter durch Tannen und Föhren und betet vor ihm hin, und die kalte Nachtluft verzauslet ihm die Locken. Mit einemmal sieht es ein Lichtlein durch die Tannen flimmern und schreit auf vor Freude und geht aufs Lichtlein zu und kommt zu einer Hütte und klocket. Ein altes, buckliges Weiblein, ein Licht in der Hand, tut auf. "Habt mich doch über Nacht-, sagt das Fräule, "ich bin verwirrt und finde keinen Weg mehr heim". "No, so sei es", sagt das Mütterle und führt das Fräule in die Stube, "aber", sagt es, "das Ding ist nicht sicher, ich fürcht, der Jäger kommt; das ist ein wilder, ungehobelter Kerle, der nichts, was Mensch heißt, leiden will, nur mir tut er nichts, ich sei schon geschlagen genug, sagt er, mit meinem Buckel. Tagweis geht er fort und paßt auf das Hochgwild, und, so Gott will, kommt er hinacht nimmer." Das Fräule loset und schnauft voll Kummer und Sorgen. Auf einmal hört man es bellen und hünen, und der Jäger ist vor der Hütte und flucht. Das Fräule, stuchenweiß vor Schrecken, springt auf und will fliehen, aber unter der Tür verkommt es dem Jäger, und der zieht seinen Säbel und haut ihm das flatterige Haar ab. Das Fräule ist froh gewesen, daß ihm der Kopf noch ist stehen geblieben und ist im Wald weiter gelaufen.

Das ist geschehen im Herbst. Aber dem Jäger ist von der Zeit an nimmer mehr wohl gewesen. Das Bild von dem Fräule ist ihm, wie sein Zorn verrochen gewesen ist, allweg vor die Seel gekommen. Er macht Kränzlein und Blumen aus des Fräuleins Haar und schaut sie an und weint. "Weible", sagt er auf einmal zu seiner Wirtschäfterin, "Weible", sagt er, "mich reißt es jetzt weiter, ich gang und such mir das Fräulein, ohne den Engel kann ich's nicht mehr prästieren." Und der Jäger zieht fort mitten im Winter und geht weislos von Schloß zu Schloß, aber nirgends findet er sein Schätzle. Endlich kommt er im Schwabenland zu einem Kloster und bettelt eine Suppe, und wer gibt ihm sie? - 0, das Fräule von Ruggburg, sein Schätzle. - Stuchenweiß werden beide, und die Klosterfrau schlägt schnell wieder die Tür zu. Der Jäger aber liegt am anderen Morgen erfroren bei der Pforte.

Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 3, Seite 52