Der Verräter

An einem Abend (es ist so etwa auf zehn Uhr gegangen) sitzt der Hirschenwirt von Rankweil allein in der Stube und nimmt noch die Praktik (Kalender) zur Hand und schaut, was heute für ein Sternzeichen und Mond sein möge; es hat ihm heute kein Schlaf kommen mögen. Wie er da so sitzt und blättert und murmelt zu sich selber, hört er plötzlich Schritte nacheinander durchs Vorhaus herein, eilige noch außerdem. „Wer kommt auch heute abend noch auf Besuch? Schau an, der Melki gibt uns noch die Ehre; sei mir willkommen! Aber was ist mit dir? Was hast du? Du bist schneeweiß. Ist dir übel? Nimm einen kleinen Schoppen zu Leibe und setz dich hinter den Tisch, daß dir die Übelkeit vergeht; zu versäumen hast du heute abend sowieso nichts mehr.“ Der Melki setzt sich und sagt: „Ein Schöpplein, das mag ich, und übel ist mir grad nicht; doch denk dir mein Schrecken: Drunten auf der Wiese ist mir der Klushund begegnet! Weil es gar so ein lieblicher Abend war, hab' ich mir gedacht, es wäre wahrhaftige Faulheit, so eine freundliche Zeit in Flaum und Federn zu verduseln - gehst noch auf den Weg und hinunter auf die Wiese, einen Abendschnitt zu machen. Ich nehme mein Pfeiflein in den Mund und gehe mit der Sense und dem Steinfaß (Gefäß für Wetzstein) zur Wiese hinunter und rauche und denke grad an nichts. Drunten mähe ich nicht lange, so schlägt es, glaube ich, halb zehn, und ich stehe ein bißchen an (ich komm nicht mehr weiter) und geh und will die Sense dengeln, aber Herr Jesuschrist!, da tappt ein Hund zu mir her, hoch wie einjähriges Kalb, mit schwarzen zottigen Haaren, ja (und ich lüg sonst nicht) ein Paar Augen wie feurige Scheiben. Wie ich ihn stillstehen sehe und mit seinen Pfoten im Boden scharren, und wie ich ihn höre wie ein Mensch so jämmerlich winseln, daß es einen grad erschreckt, so denke ich: Hoppla, der geistert! Ich nicht faul, werfe meine Sense weg und beginne zu laufen, was ich laufen kann, dem Dorf zu, und wie ich im Schrecken da zu euerem Haus gesprungen komme, da sehe ich herrinnen noch ein Eicht brennen und denke: Ich mache noch einen Sprung in den Hirschen, trink ein oder zwei Schöppchen, den Schrecken ein bißchen wegzuspülen; gut ist das gewesen, er ist mir schließlich nicht nachgekommen.“ „Es ist wahr“, sagt der Wirt, „er mag den Leuten nicht in. die Nähe kommen“; daraufhin bringt er Wein auf den Tisch, ein Schöppchen guten Veltliner: „Gott segne es dir!“ und erzählt: „Eine bedauerliche Sache ist es mit dem Klushund. Freilich, Geld und Geiz hat manchen schon zurück gebracht, und den Lochauer auch, sonst hätte er das Land nicht verraten. Böse Zeiten waren es, mein guter Melki! Vor langer Zeit haben sie draußen im Reich dreißig Jahre gekriegt und sich geschlagen wegen der Religion, und ich vermute auch wegen nichts und aus Herrschsucht - was weiß ich, den Großen kannst du nicht ins Räderwerk schauen. Daraufhin ist noch ein fremder Gast, der König von Schweden, mit den Männern gekommen, und der will auch tanzen auf der Hochzeit (der will auch teilhaben). Armes deutsches Land, wie haben dich die Schweden verwühlt damals! Den Boden schwarz getrampelt und die Saat zertreten, ja, was sage ich, die Städte ausgeplündert, Weiler und Dörfer. Jetzt sind die Tröge (Truhen) und die Kästen im Reich nach und nach geräumt gewesen, und der Korb ist höher gehangen, und zum Beißen ist ringsherum nichts mehr gewesen, und der Schwede bricht auf und läßt sich durch das Allgäu dem See zu; nach Kempten vor geht es und weiter gegen Lindau und Bregenz. In Bregenz haben sie die Nachricht gerade noch zeitlich genug erhalten, und wie ein Blitz geschwind geht es an ein Rüsten und Bewaffnen; es dauert nur eine kurze Zeit, schon steht eine tüchtige Mannschaft, und der Hauptmann sagt: „Jetzt das Herz aus der Hose in die Hände genommen, und daran in Gottes Namen! Wir ziehen gegen die Feinde aus, die Schweden rücken uns auf den Leib, es geht einem jeden um die Häuser. Vorwärts auf den Weg! Bei der Klause draußen wollen wir uns zuerst postieren.“ Damals, Melki, war die Klause noch fest vermauert und verschanzt. Die Schweden rücken an und stürmen Mauern und Schanzen; aber unsere Leute, die stellen ihren Mann und geben Antwort. „Hurtig nach mit Steinen!“ kommandiert und schreit der Hauptmann, „es wird ihnen schon vergehen“ und ein ganzer Hagel von Steinen fällt den Kletterern auf die Köpfe, und Leiche um Leiche sind aufgeschlichtet. Nach und nach dämmert es, es wird immer dunkler und die Schweden geben nach und ziehen sich zurück und verschnaufen. Melki, komm, trink aus, ich hole dir noch ein halbes Schöpplein! Eine häßliche Nacht soll es gewesen sein, kein Sternlein habe gefunkelt damals, schwarzes Gewölk solle für uns und am Himmel oben gehangen sein, und da fährt über die Bregenzer Stadt in einem mächtigen Bogen, wie ein Stern am Himmel schießt, ein feuriger Engel mit einem blutigen Schwert - eine schlechte Bedeutung! Inzwischen halten sie noch Rat beisammen im feindlichen Lager: „Gescheiter, schätze ich, würde es sein, wir würden dorthin gehen, woher wir gerade gekommen sind“, sagt der General, „denn die Bregenzer bezwingen wir nur schwerlich.“ Er sagt's, und nach einer Weile, so schleicht einer aus Lochau zu ihnen ins Zelt und sagt: „Ihr tapferen schwedischen Herren, wenn ich mit Gunst vermelden darf, ich hätte noch ein Wort mit ihnen zu schwatzen. Guten Abend zuerst! Ihr habt einen grausigen Tag gehabt, wacker habt ihr geschwitzt und wacker geschnauft und euch gewehrt, und mit euerem Blut das deutsche Land ordentlich gedüngt. Wenn es nur gefrommt (genützt) hätte! Doch die Arbeit habt ihr noch vor euch - stark sind die Mauern um die Klause und bewaffnet die Bregenzer Bürger; aber vielleicht könnt ich mit Rat und Tat euch behilflich sein: Ihr versprecht beim Eid zweihundert Konstanzer Schillinge - das ist für euch eine Bagatelle - und ich führe euch noch heute nacht um die Klause herum auf einsamen Wegen in das Bregenzer Städtlein; hier ist die Hand!“ Der Schwede schlägt ein, und der Handel ist geschlossen. Melki, vergiß den Wein nicht vor lauter Zuhören und Zuhören! Es war um die Zeit des Tagwerdens, ein Großteil schnarcht noch in Bregenz; aber es bricht ihnen der Schlaf, als es auf einmal lärmt in den Gassen: „Mordio! Die Schweden sind gekommen! „ Bald geht es an ein Plündern und Brennen, Gott behüte uns und unsere Frauen! Es ist nicht zu sagen; hei, wie prasselt das Feuer im Dach! Wie schreit hier eine Mutter um ihr Kind, dort ein Vater um das Haus! Es ist ein lautes Weinen. Wo wird der Lochauer sein? Der schleicht zum schwedischen Führer: „Hör zu, guter Freund, wie steht es mit dem gedingten Taglohn?“ Aber der Schwede gibt kurzen Bericht: „Er soll dir nicht fehlen, scher dich weg, du Lump, und suche ihn dir selber mit Spaten und Schaufel auf dem Bregenzer Schloß; die alten Grafen von Bregenz sollen vor Zeiten ein Kegelspiel dort droben vergraben haben, die Kegel aus purem Gold und die Kugel von getriebenem Silber: Das ist dein Lohn; es ist vornehm bezahlt, du kannst dich nicht beklagen“ — Es dünkt dich selber so, gell (nicht wahr), Melki, eine saubere Bezahlung! Wäre nur das Kegelspiel nicht zu tief im Boden versteckt gewesen. Zwar ist er daraufhin ein paar Nächte auf den Weg gegangen mit Spaten und Schaufel und hat gegraben und geschwitzt und geschaufelt und geseufzt beim Mondlicht; aber Gold kommt keines zutage, und was er in der Nachtzeit mühsam gräbt, das fällt am anderen Morgen daraufhin zusammen. Es darf einen darum nicht wundern, die Arbeit ist ihm verleidet. Kurze Zeit noch soll er verschüchtert in der Gegend herumgeschlichen und dann nirgends mehr gewesen sein — und seitdem geistert der Klushund, meistens im Unterland und zur Zeit auf der Bresner Wiese (Parzelle von Rankweil); du hast ihn heute ja selber geistern gehört und gesehen am Abend beim Mähen, und du bist, wie du sagst, nicht wenig seinetwegen erschrocken; aber der Wein hat dich gestärkt, und du bist auch wieder zu Farbe gekommen. -Schlaf jetzt wohl! Morgen nicht zu früh, und vergiß deine Sense nicht."

Quelle: Karl G. Frommann, Die Deutschen Mundarten, Nürnberg 1856, S. 527ff, (Nacherzählung einer Sage), zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 111ff