DAS GEBET DER MUTTER

Es war einmal eine alte Witfrau, die hatte einen einzigen Sohn, den sie voll Zärtlichkeit liebte. Da erkrankte der Sohn und starb. Als die Mutter wieder einmal in Tränen auf ihrem Bette saß, erschien ihr nachts der Verstorbene und brachte ein Ständele voll Wasser mit. "So viel, beste Mutter", sagte er, "habt Ihr schon für mich geweint, und doch hat es mir nicht das geringste genützt. Betet für mich, auf daß ich zur Ruhe komme!" Nach diesen Worten wich die Erscheinung. Die arme Frau verlegte sich mit aller Kraft, die ihr die Liebe zum Toten eingab, aufs Gebet, und aus der Tiefe des Mutterherzens drang es mächtig zum Himmel empor. Nach kurzer Frist erschien ihr der Sohn wieder zu nächtlicher Stunde und dankte, da er durch das Gebet seine Ruhe gefunden.


Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 69, Seite 84