DIE FRAU MIT DEN ROTEN HAAREN

Es war einmal in Dornbirn ein Tischler, der hatte eine junge rothaarige Frau. Die Frau erkrankte, und der Mann versprach an ihrem Bett eine Wallfahrt nach Einsiedeln, damit sie bald genese. Allein nach einigen Wochen war sie tot. Der Tischler dachte nicht mehr seines Gelübdes, sondern freite um eine Freundin der Verstorbenen und führte sie bald zum Altare. Etwa vierzehn Tage nach der Hochzeit ging die neue Frau in ein Gemach des Erdgeschosses, um dort Hobelscheiten für die Küche zu holen. Wie sie heimkommt, sitzt ihre Vorgängerin auf den Hobelscheiten und redet die in Schrecken erstarrte Freundin mit lauter Stimme an. Ihr Mann, sagte sie, habe eine Wallfahrt nach Einsiedeln gelobt, und solange er dies Gelübde nicht erfüllt habe, könne sie keine Ruhe finden im Grab. Am nächsten Tag um drei in der Früh war der Tischler mit seiner Gattin schon auf dem Wege in die Schweiz, hielt am Gnadenorte seine Andacht und ließ ein paar Messen lesen. Und siehe da ! Seit der Rückkehr darf die Tischlerin getrost Hobelscheiten holen, die rote selige Frau läßt sich nicht mehr sehen.


Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 70, Seite 85