Der Burgen Ende

Zu Zeiten sind auf allen Burgen im Lande harte und gewalttätige Zwingvögte gesessen: „Zahl Zins und Zehent, Bäuerlein“, hat es geheißen, „und frohnde noch obendrein!“ Von ihren Schlössern herab sind sie im Sommer auf Schlitten durch das mahdreife Gras der Bauerngüter gefahren, und zu Weiler haben sie oft von den Forchen am Burgfeld auf die Leute geschossen, die im Felde arbeiteten. Ja, „Schmuck dich und druck dich, Bäuerlein, und mach die Faust im Sack, zeigen darfst du sie nicht!“

Lange ist es so gegangen und der gemeine Mann hat nichts dagegen ausrichten können, denn die Herren haben sich zusammengetan gehabt zur „Landrettig“ (Landrettung), daß sie sich Zeichen geben und einander zu Hilfe kämen, wenn das Volk aufstünde oder der Feind ins Land bräche. Auch „Redehörner“ hatten sie, mit denen sie von einem Schloß zum ändern rufen konnten. Gar oft riefen sie von der Alt-Montfort über Wald und Wasen und Schlucht und Schrofen hinauf bis zum Viktorsberger Kloster.

Endlich aber hat sich das Blatt gewendet. Die Appenzeller sind über den Rhein herübergekommen, und die Bauern haben zu ihnen gehalten. In einer Nacht sind sie über alle Schlösser hergefallen. Sie haben sie verbrannt, die Zwingherrn umgebracht und sogar ihre Weiber und Kinder nicht geschont. Vergeltung hat sein müssen. Haben die Herren nicht auch manchem Weib das Ärgste angetan. Fast nirgends sind sie entronnen.

Nur auf der Alt-Montfort hat eine Magd die jungen Herrlein gerettet. Sie hat Heublachen aneinandergebunden und daran die unschuldigen Kinder durch das Fenster in die Waldschlucht hinabgelassen. Von dort sind sie in die weite Welt geflohen. Auch die Vögte auf der Neuburg entkamen. Es gelang ihnen durch eine List. Sie flüchteten früh genug und nagelten dabei ihren Rossen die Hufeisen verkehrt auf. Das täuschte über die Spur. Aber einen großen Haufen Goldes mußten sie auf der Burg zurücklassen, und er liegt noch tief unter dem verfallenen Gemäuer. Seltsames Getier haust dort und schreckt jeden, der eindringen will.

„Wann ist denn das gewesen? Sie haben doch den guten Grafen gehabt, des Bild mit Helm und Schwert zu Feldkirch auf dem Brunnen droben steht?“ —

„Ei, es streichen viele Lüfte übers Ried, und viele Wässer rinnen den Rhein hinab. Und seit sie den letzten Grafen begraben, hat sich mancher Vogt im Lande breitgemacht und seinen Beutel gefüllt. Oder glaubst du, daß die Neuburger, welche den großen Schatz zusammengehaust haben, von Gibis („von Gibis sein“, eine sprichwörtliche Redensart, gerne geben) gewesen seien?“

Quelle: Zentralarchiv der deutschen Volkserzählung, Marburg, 180009, Anna Hensler, zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 107f