Die sieben Hirten

Die Alpe Fräsch gehört den Montafonern. Einst übernachteten zwei Gemsenjäger droben, die in der Nacht durch einen Höllenlärm erweckt und erschreckt wurden. Es war der bekannte Lärm des Schellengeklingels, Viehschreiens und dergleichen, und zur Thaietüre herein traten sieben Alpenhirten, der Senn voran, und begannen gleich in der Hütte ihre Arbeit, wie in der besten Alpenzeit, dann schürten sie Feuer und kochten ein Mus und winkten den Gemsjägern zur Teilnahme an diesem frugalen Mahle. Diese merkten wohl, daß sie es mit Geistern zu tun hatten, faßten sich aber dennoch Mut und aßen, wobei die Gespenster sie mit feurigen Augen schrecklich anstarrten. Das Mus schmeckte nicht so gut wie jenes, das der Wurzelgräber auf der Alpe Verwall bekam, es schmeckte wie Asche, Wermut und Mistpfütze; doch druckten und schluckten sie es nieder, und einer faßte den Mut, die Geister zu besprechen nach der Regel und sie zu fragen, wie sie zu erlösen seien. Darauf antwortete der Rechthirte: „Wir erleiden harte Strafe, weil wir bei unserm Leben nachlässig und liederlich gedient haben, und die Bauern in großen Schaden und um einen guten Teil des Almnutzens gebracht [haben]. Nur eine große Buße, die andere für uns leiden, kann uns erlösen. Ihr müßtet in Schuhen, in welche ihr zuvor harte Erbsen getan, eine Wallfahrt nach Loretto vollziehen, aber dabei je nach drei Schritten vorwärts einen Schritt rückwärts tun! Seht eine Probe von unserer Pein.“ Jetzt nahm der Geist den Stutzen des einen Gemsenjägers und hielt einen Finger der rechten Hand über den Schaft; da fiel ein Tropfen Feuer aus dem Finger und brannte sich zischend auf den ganzen Schaft, als war' er Wachs. Darauf leuchteten die sieben Hirtengeister allzumal wie brennende Holzstöcke und gingen aus der Thaie. Die Jäger aber eilten entsetzt nach Hause, erzählten, was sie gesehen, und haben dann aus eigenem Mitleid und auf Zureden guter Leute wirklich die mühsame langwierige Wallfahrt vollbracht, sind als Pilger mit wunden Füßen und todmüde in Loretto angekommen, haben dort für die armen gepeinigten Seelen gebetet und endlich die schöne Genugtuung gehabt, daß ihnen die sieben Geister im schneeweißen Glänze der Verklärung erschienen und ihnen für das Werk ihrer Erlösung Dank sagten.

Quelle:Johann Nepomuk Alpenburg, Mythen und Sagen Tirols, Zürich 1857, S. 177f, Nr. 45, zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 59