DIE HEXE ALS MELKERIN

Vor Jahr und Tag ist im Vergalda eine Sennin gewesen, und so oft sie am Abend melken gegangen ist, hat sie die Stalltür hinter ihr zugeschlagen und vom schlechtesten Kühlein den größten Eimer voll Milch gemolken, daß alle Alpleute nichts anderes gemeint haben, als sie könne hexnen. Jetzt einmal geht ein Alpmeister und sagt: "Ei, Sennin, sag mir, wie melkst du deine Kühe?" Aber die Sennin will zuerst nicht heraus mit der Sprach, und nur weil er gar nicht nachgibt zu tribulieren, so sagt sie: "Wenn du die schönste Kuh dran wagen willst, so will ich dir zeigen, wie ich meine Kühe melke." "Es sei ein Wort", gibt ihr der Alpmeister zur Antwort, "schau die schöne braune Kuh dort auf dem Rain droben, sie hat eine prächtige Singes an und schreitet stolz den anderen voraus - die wag ich dran." Über das sagt die Sennin: "So will ich sie melken". Der Alpmeister will zuweg und will die Kuh zum Melken vom Rain herunterholen, aber die Sennin sagt: "Das braucht es alles nicht, laß die Kuh droben", und schlägt vier Zäpfen in die Stallwand und fängt an zu melken an denen Zäpfen, und äh gelt! es kommt aus dem Holz Milch geronnen in vier fingersdicken Brünnlein, daß man nicht genug Schiff und Geschirr in der Deihja hat aufgebracht. Nach und nach sagt aber die Melkerin: "Jetzt sollte man hören melken, es könnte sonst Blut kommen." "Macht nichts", sagt der Alpmeister, "melk du nur zu", und die Sennin melkt und melkt, und richtig, rinnt nach und nach Blut für die Milch aus den Zäpfen, und über eine Weile trolet die schöne braune Kuh maustot herunter vom Rain.


Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 198, Seite 149