Die Verheißung des Hirtle's auf der Berger Alma

Vor ein paar hundert Jahren hütete auf der Barthelmäsberger Alma ein frommes Hirtle. Wenn es die Geißen heimtrieb; nahm es seinen Gang stets zur alten Kirche, und auf dem Friedhof betete es kniend den Rosenkranz. Dann legte es ihn auf ein Grab, jede Nacht auf ein anderes; denn er war geweiht und sollte jedem Gnade bringen, der da bestattet war.

Einst als es frühmorgens mitten im tauigen Grase bei seiner Herde stand und zu den Steinwänden hinüberschaute, auf die Felsen- und Gletscheröde, wo vor Firnen und Trümmern kein Farn mehr wurzelt, sann es staunend, daß so weiter Erdenraum kein Häslein nähren könne, ja, keinen Wurm, - war er nutzlos auf immer? - Auf einmal sah es in lichtem Scheine die heilige Jungfrau, die sprach: „Wisse, über diese Felsenwälle werdet ihr noch froher sein als über die reichste grüne Weide. Was Gott erschuf, ist nicht umsonst!" Und segnend schwand sie.

Das Hirtle tat sein Gesicht im Dorfe kund. Es betete von da an noch inniglicher als zuvor, lebte aber nur mehr eine kurze Frist.

Auf der Talseite der Kirche, wo der Blick das einsame Hochgebirge umfaßt, zeigt man sein Grab. Was es erzählte, ist nicht verhallt; die Berger glauben, daß die Verheißung sich dereinst wahr erweise.

Quelle: H. Hensler-Watzenegge, in: Rund um Vorarlberger Gotteshäuser, Heimatbilder aus Geschichte, Legende, Kunst und Brauchtum, Bregenz 1936, S. 57