Die Botschaft aus dem Jenseits

Zwei Näherinnen, sagen wir namens Genoveva und Anastasia, hochbetagt, halb erblindet und arbeitsmüde, redeten vom Sterben und von der Ewigkeit.

„Weißt du was“, betonte Anastasia, „wer von uns beiden zuerst stirbt, kommt zum anderen und erzählt, wie es ihm geht und was es Neues gibt in der andern Welt.“

„Da bin ich einverstanden“, sagte Genoveva, die jüngere der beiden.

Sie starb zuerst. Ein Herzschlag beendete ihr Leben. Es dauerte gar nicht lange, da erschien sie der Anastasia in Traumesnacht und sprach in jämmerlichem Tone: „Anastasia, wach auf! - Höre, ich bin die Genoveva und muß dir etwas sagen:

Die Nadelstiche an Feiertagen verbrennen mich, und die Sonntagsstiche verdammen mich.“

Anastasia erschrak nicht wenig, öffnete die Augen und sah eine Schattengestalt, die allsogleich entschwand.a)

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Es lebte in Bizau einst Luobühl Hans. Er war Maurer und hatte einen Freund und Handwerksgenossen, mit dem er alljährlich im Sommer ins Elsaß reiste. Dort betrieben sie miteinander ihr Handwerk. Im Herbst reiste Hans wieder heim nach Bizau. Sein Freund aber blieb im Elsaß zurück. Beim Abschied voneinander machten sie aus, derjenige von ihnen, der zuerst sterbe, müsse dem ändern berichten, wie es in der ändern Welt zugehe. Auf einmal in der Nacht kam einer zum Hans und sagte: „Hans, ma reachnot gnau und laut lützol nau.“ Hans dachte: „Es wird nicht etwa mein Freund gestorben sein?“ Er schrieb ins Elsaß und bekam die Antwort, sein Freund sei wirklich gestorben.b)

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Im 18. Jahrhundert starb ein braver Mann, der täglich um eine glückliche Sterbestunde betete. Als er gestorben war und aufgebahrt als Leiche dalag und einige Stunden seit seinem Tode verflossen waren, beobachteten die im Sterbezimmer Anwesenden, daß etwas über seiner Leiche durchschwirre. Sie glaubten, es fliege ein Vogel durch und hörten, wie er die Leiche fragte: „So bist du auch noch hier?“ Man mutmaßte nun, es sei die Seele des Verstorbenen gewesen, die nur solange im Fegefeuer habe müssen bleiben. Das Gebetlein, das er immer betete, lautet: „O Maria, komme uns zu Hilf! Nimm die Seele aus meinem Mund und führe sie mit dir in das ewige Leben!“ Dazu betete er noch ein „Gegrüßt seist du Maria!“ c)

Quelle: a) H. Barbisch, Uralte Trümpfe, in: Feierabend, 8. Jg. (1926), 6. Folge, S. 34, zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 43f
b) u. c) Franz Xaver Wölfle, Sagen von Bizau, in: Montfort I (1946), S.291, zi. nach ebenda