DER ZAUBERSPIEGEL
Der Hirtenknabe von Gaphal  © Maria Rehm
Der Hirtenknabe von Gaphal
© Künstlerin Maria Rehm
© Viktoria Egg-Rehm, Anita Mair-Rehm, für SAGEN.at freundlicherweise exklusiv zur Verfügung gestellt

Auf der Alpe Gaphal zeigte sich ein paar Jahre hintereinander ein Venedigermännlein. In Runsten und Töblern suchte es sorgsam Steine zusammen und dann verschwand es auf einmal wieder. Einmal kam ein Hirtenbub zu diesem Männlein, als es mit dem Ordnen und Packen seiner Steine beschäftigt war, und schaute ihm eine gute Weile zu. Es mochte ihm das ganze Treiben aber doch recht dumm vorkommen, denn es sagte halblaut zu sich selbst: "Es gibt doch närrische Leut auf der Welt." Darüber ergrimmte das Venedigermännlein und es brummte: "Du blöder Bub, wirfst oft einer Kuh einen Stein nach, der mehr wert ist als die ganze Kuh." Diese Rede des Männleins faßte der Bub gut ins Ohr und merkte sich auch genau, wie die Steine aussahen, auf die der Venediger so aus war, und las dann später neben dem Viehhüten auch solche Steine zusammen. Als er schon einen wackeren Haufen zusammengebracht hatte, ging er damit in die Welt, um sie an den Mann zu bringen, aber niemand wollte sie ihm abnehmen. Endlich kam er auf seiner Wanderung nach Venedig und bot dort einem noblen Herrn seine Steine zum Verkauf an. Der Herr hieß ihn mit seiner Ware ins Haus kommen. Der Bub stieg mit dem noblen Venezianer eine breite Marmortreppe hinan und kam in einen großen, goldprunkenden Saal. Da verschwand der Venezianer in einem Nebengemach. über einer Weile kam aus dem gleichen Gemach ein kleines Männlein heraus, das der Bub alsogleich als das Venedigermännlein von Gaphal erkannte. Das Männlein musterte den Knaben und die Steine und sagte: "Du Spitzbube, du wärest nun in meiner Gewalt, und ich könnte dich töten, weil du mir mein Handwerk abgeschaut hast. Für diesmal will ich dir das Leben schenken, aber wehe dir, wenn du wieder kommst!" Er zahlte ihm dann für die Steine eine beträchtliche Summe Geldes aus, stellte ihn beim Abschied vor einen großen Spiegel und sagte. "Da kannst du noch schauen, was deine Leute zur Stunde daheim tun." Der Bub schaute in den Spiegel und siehe, da gewahrte er sein väterliches Haus. Die ganze Hausehr saß vor dem Haus um einen Tisch herum und war gerade am Mittagessen. An den Wänden des Hauses waren Sensen, Rechen und Heugabeln angelehnt. Dies Bild weckte Heimweh in dem Buben und er eilte mit dem Erlös der Steine nach Hause und blieb ein wohlhabender Mann.


Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 109, Seite 105