DIE PREDIGT AM LÜNERSEE

Hoch über dem Dörflein Brand breitet sich der Lünersee aus. Fast zwei Stunden braucht man, den tiefgrünen Spiegel zu umwandern. Ringsum stehen hohe Felsenwände, die nur nach Norden eine schmale Öffnung weisen. Da hat der Alvierbach seinen Ursprung. Es ist zu verstehen, daß dieser See dem Volke als geheimnisvoll und unergründlich gilt. Einmal warf einer ein Senkblei hinein, da rief aus der Tiefe eine Stimme: "Ergründest du mich, so verschlinge ich dich!" Ahnliches erzählt man in Vorarlberg vom Sonderdacher und vom Körber See. Nach dem Sagen der Leute hausen im Lünersee allerhand Geister, die Kapuziner und fromme Priester hineinverbannt haben. Es geht auch die Prophezeiung, er werde einmal ausbrechen. Sein Wasser werde dann bei der Bludenzer Kirchenstiege bis zur siebenten Stufe hinanreichen und der ganze innere Walgau werde überschwemmt sein. Bisher sei der Ausbruch gehemmt worden durch einen ungeheuren Felsblock, der mit mächtigen eisernen Klammern an die unterirdische öffnung angeschmiedet sei.

Eine Sage geht auch von zwei Hirten, die einmal am Unser Frauentag (15. 8.) sich am Port des grünen Sees verweilten. Auf einmal hören sie so feierlich und hell das Brandner Geläut vom Tal herauf, das alle Dörfler zur Predigt und zum heiligen Amt ruft. Da sagt der eine Hirte: "Wie schön ist so ein Glockenklang. Mir wird, als wenn ich Heimweh hätt. Es ist Feiertag und auch ich möcht zur Predigt gehn wie andere Leute." Der andere aber lacht: "Mangelt dir sonst nichts, so weiß ich Rat. Es geisten Hehren (Geistliche) da im See, es soll von denen einer kommen, und uns eine Feiertagspredigt halten." Kaum ist das Spötterwort heraus, da rauscht es im See und auftaucht ein Hehr in Chorrock und Barett. Auf einem Schimmel mit goldenem Leitseil setzt er ans Land, hält auf den Spötter zu und predigt ihm mit erhobener Hand, daß es hillt von Fels und Stein. Das Amen gellt, ein Sprung in den See, und verschwunden sind Roß und Mann. Von da an ist der Hirt schweigsam geworden und was der Hehr ihm gepredigt hat am Lünersee, das hat er bald mit unter den geweihten Boden genommen.


Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 128, Seite 114