Friedl mit der leeren Tasche

Im Jahre 1416 am [. . .] um Mitternacht kam ein Herr vor das obere Tor zu Bludenz angeritten und klopfte da an. Der auf diesem Turm wohnende Tor- und Nachtwächter eilte hinab und fragte denselben durch den Schwibbogen der Armentin (ein kleines Wässerchen, wahrscheinlich vom lateinischen armentina aqua, Hornviehtränke): „Wer klopft draußen?“ Der fremde Ritter antwortete: „Nun, auch Einer; mache auf!“ Der Wächter erwiderte mit diensteifrigem Unwillen: „Ja, Einer kann mir jeder sagen; ich muß wissen, wer vordraußen ist, vor sperre ich nicht auf.“ — Ritter: „Warum aber verfährst du so?“ - Wächter: „Auf Befehl des Stadthauptmanns.“ - Der Ritter fragte hierauf dringender, was denn die Ursache eines solchen Befehls vom Stadthauptmanne sei? Worauf der Wächter ihm nun erklärte: „Wir sind unserm Landesfürsten, dem Herzoge Friedrich von Österreich, auch derzeit noch immer getreu, was aber in und außer unserm Lande gegenwärtig ungleich ist. Darum müssen wir bei Tag und Nacht sehr auf der Hut und zu Rüstung und Führung bereit sein.“ - „Ach so! Ist es das? Dann mache nur geschwind auf! Ich bin Herzog Friedrich.“ - Hiergegen erwiderte aber der Wächter: „Ja, das könnte mir ein jeder sagen; ich kenne den Herrn nicht.“

Der Herzog sagte also: „Wohl dann, so gehe oder schicke geschwind zum Ritter Welser in die Stadt hinab. Er möchte sobald als möglich zu mir an dieses Tor kommen.“ - Dies vollzog der Wächter sogleich. Ritter Welser kam eilends zum Tore, begrüßte den Herzog ehrerbietig durch den Schwibbogen, und als er aus der Antwort und Gegenruf desselben die Stimme des Herzogs erkannt hatte, rief er dem Wächter zu: „Er ist es! Mach eilends die Tore auf!“ - Letzterer befolgte dies schleunigst, als dieser aber auch das äußere Tor geöffnet hatte, zog er sorgfältig den nächsten Flügel vor sich, und verbarg sich dahinter.

Der Ritter geleitete den Herzog die Stadt hinab in ein Quartier und entbot den Stadtrat und die Honoratioren zu selbem. Diese bezeugten dem Landesfürsten ihre Ehrfurcht und Treue und schickten sogleich einen Eilboten nach Montafon ab, um auch die dortigen Vorstände und andere reisige [sic] Hofjünger zur Geleitung desselben einzuladen.

Inmitten ward eine Mahlzeit zubereitet, und als der Herzog eben im Begriffe war, sich zur Tafel zu setzen, äußerte er den Wunsch, den Wächter von dem Tore, durch welches er hereingeritten, vor ihn zu berufen. Es geschah sogleich, der Nachtwächter erschien alsbald, warf sich nahe am Herzog zu seinen Füßen und bat demütig um Verzeihung, daß er zu Seiner hochfürstlichen Gnaden sich im Pflichteifer so gröblicher Worte bedient habe. Friedrich stand von der Tafel auf, hob den Wächter gütig vom Boden auf und belobte ihn, daß er die Befehle und seine Pflicht so getreulich und vorsichtig vollzogen habe mit dem Beisatz, daß er ihn dafür belohnen würde, wenn er dermalen nicht leere Taschen hätte. So aber befahl Friedrich, daß er sich mit ihm an die Tafel setze und sich gleichwohl mit Speise und Trank erfrische. Nach wiederholter Entschuldigung mußte der Wächter solches auch annehmen und setzte sich sohin zu unterst an die Tafel. Nach deren Aufhebung begab sich der Herzog zur Ruhe. Am folgenden Tage wurde derselbe sodann von den Vorständen, Adel und Reisigen der Stadt und der Umgebung zu Pferde auf seiner Reise nach Tirol bis auf die Landmark begleitet.

Quelle: Tiroler Bote, 1827, S. 216f, zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 96ff