170. Die Langutsch

I. Das Begräbnis

Von der Langutsch hat man früher viel gehört, als man noch an Hexengeschichten glaubte. Jetzt gibt es viele Leute, die meinen, es habe überhaupt nie eine Hexe gegeben. Wenn aber das wahr ist, was meiner Mutter schon ihre Großmutter von der Langutsch erzählte, dann hat es halt doch einmal Hexen gegeben. Und wahr muß es sein, denn die Ahna hat ihre Tochter nicht angelogen und sie hat's vom Vetter selbst, der die Langutsch noch gekannt hat. Und der ist selbst dabei gestanden, als man die Langutsch vergraben hat und hat selbst gesehen, wie am hellen Tag ein Blitz vom heitern Himmel in das Grab gefahren ist und gekracht hab's dabei, daß alles zu zittern angefangen. Jeder hat da gesehen, daß das Weib eine Hexe war und alles hat angefangen zu muscheln. Der Pfarrer aber habe dann zu den Leuten gesagt: „Betet, es ist gescheiter!"

II. Hau der Kuh ein Ohr ab!

Ja, von dem Weibsbild hat man gar mancherlei gesagt früher. Mit ihrem ersten Mann hat sie auf dem hinteren Schloß oben gewohnt und wie der gestorben ist, hat man sie entsetzlich fluchen und räsonieren gehört, daß die Leute alle schon damals gedacht haben, das könne kein Weib sein wie andere. Die Langutsch hat dann aber bald wieder einen geheiratet. Dieser Mann habe sogar gewußt, daß er eine Hexe nehme, aber sie habe es ihm so angetan mit ihren Hexenkünsten, daß er sie habe heiraten müssen. So hat der Mann später selbst gesagt.

Im Frieden hat er mit ihr freilich nicht leben können. Bald ist das, bald jenes vorgekommen. So z. B. sind wiederholt zwei Kühe an einer Habse zusammengebunden gewesen, so daß sie fast erwürgt waren. Da ist dann ihr Mann zu einem Kapuziner nach Feldkirch gegangen und dieser hat ihm den Rat gegeben, er solle einer Kuh einfach das eine Ohr abhauen, sobald so etwas wieder vorkomme. Dabei werde er dem Vieh nicht schaden, sondern es werde die Hexe treffen, die das Übel anstelle. So wollte der Mann auch wirklich tun. Aber schon als er anfing das Messer zu schleifen, war es der Langutsch nicht mehr recht geheuer; sie fragte ihren Mann erschrocken, was er denn vorhabe, und als dieser erklärte, er wollte einer Kuh ein Ohr weghauen, da bat sie ihn, er solle doch ja so etwas nicht tun, es werde gewiß nichts Unrechtes mehr vorkommen.

III. Prügel für die Verleumderin

Die Hexe hatte auch einen Stiefsohn, den sie nicht leiden mochte und dem sie alles nur Erdenkliche zuleide tat. So tauchte sie z. B. das Leintuch seines Bettes in Wasser und hing es gerade dann zum Fenster hinaus, wenn die Leute aus der Kirche heimgingen. Zu diesen jammerte das Luder, wie sie doch ein Kreuz mit ihrem Buben habe, der doch schon erwachsen sei und nicht einmal ihr gehöre, er solle sich doch schämen, der alte Kerl u. s. f. Das ward dann aber dem Burschen doch zu dumm und er versprach einigen Soldaten — damals waren noch solche auf dem Schloß — eine Belohnung, wenn sie seine Hexenmutter einmal recht zünftig durchprügeln wollten, was dann gelegentlich auch mit größter Gewissenhaftigkeit durchgeführt wurde. Die ändern Weiber sollen sich noch lange nachher gefürchtet haben, weil sie glaubten, es könnte ihnen etwas Ähnliches passieren.

IV. Hirnschalen

Die Langutsch aber hätte noch viel mehr verdient. Man denke nur, was die alles getan haben muß, denn als man viele Jahre später auf dem Schloß oben den Küchenkasten verstellte, fand man hinter demselben einen ganzen Haufen Hirnschalen kleiner Kinder.

Einmal ist auch dem Großvater in der Nacht ein Kind zur Welt gekommen. Er hat auf dem alten Schloß oben gewohnt, und wie er am Morgen in aller Frühe aufs Land hinabeilte und beim Hause der Langutsch vorbeikam, rief ihm diese schon von weitem entgegen: „Heascht eaba e Meaddeli überko?" Darob ist der Mann ganz stutzig worden. Wie konnte das Weib wissen, daß er gerade ein Mädchen bekommen hatte, wenn sie keine Hexe war? Selbst konnte sie nicht auf dem Schloß gewesen sein, denn das hat er gut genug gesehen: Es war über Nacht Neuschnee gefallen und in diesem bemerkte man nichts als die Spuren einer Katze. Eine solche hatte wirklich während der Nacht immer zum Fenster hereinwollen und die Spuren dieser Katze gingen wirklich zum Hause der Langutsch, die damals im ersten Hause in der Buchenau wohnte. So muß sich das Teufelsweib in eine Katze verwandelt haben und als solche hat sie wohl neugeborene Kinder gestohlen und dann getötet. Woher wären sonst die Kindsschädel gekommen?

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 170, S. 107f