586. Der harte Müller und das Hungerjahr

Die große Mühle, die hochgieblig am Hügel stand, hatte ein stolzer, hartherziger Müller erbaut. Erbarmen kannte der keines. Das Korn, das ihm die armen Bäuerle zum Mahlen brachten, werde nicht schwerer und der MüIler nicht arm davon, hieß es. Die ihm aber etwas schuldig waren, trieb er von Haus und Hof. Er sann nur, wie er zu einem glänzenden Taler wieder einen ändern legen könne. Da kam ein Hungerjahr. Groß war das Elend im Lande, denn der Unsegen Gottes lastete schwer. Keine Feldfrucht war geraten und was andere Jahre gesättigt hatte, schien in diesem nur den Hunger zu mehren. Wo in einem reichen Hause Käse bereitet wurde, standen Bauernkinder, zwanzig für zwei, und warteten auf den Schotten, den sie früher den Schweinen verfüttert hatten; jetzt bettelten sie flehentlicher um ihn, als ehedem die ärmsten um Milch. Da wühlten die Leute in Misthaufen nach alten Schuhen, damit sie vom SohIleder Suppen sieden konnten, und es galt ihnen wie Fleisch. In dieser Zeit war es, daß an den Küchenfenstern Gitter von Eisenstäben festgemacht wurden, wie man sie jetzt noch an alten Bauernhäusern sieht, und das Brot kostete soviel, daß man für vierundzwanzig Kreuzer, das sind sechsunddreißig Neukreuzer oder zweiundsiebzig Heller, nicht mehr zu zehren hatte, als jetzt an einem halben Schild.

Der MüIler hatte aber nie mehr mit dem Korne gewuchert als in diesen Tagen ärgster Not, und er nannte die größte Teuerung „sein gutes Jahr". Mit dem Blutgeld, das er sich erschacherte, baute er seine stolze Mühle, und damit sie aIlem Wetter standhalte, mischte er Eiweiß unter den Mörtel. Seine Frau aber prunkte in Schuhen mit silbernen Schnallen, und er prahlte, wenn noch ein solches Jahr käme, würde er ihr nicht nur silberne, sondern goldene kaufen. Dazu kam er aber nicht mehr. Er starb bald darauf und über der Mühle war es wie ein Fluch. Mit Eiweiß hatte der MüIler beim Bau den Mörtel getränkt, damit sie durch Jahrzehnte dem Unwetter trotze, dem Feuer vermochte sie aber nicht stand zu halten. Es verzehrte die Mühle in einer Nacht bis auf den Grund. Und das Unglück verfolgte seine Kinder und Kindeskinder, bis sie des letzten unrechten Groschen verlustig gingen. Von goldenen und silbernen SchnaIlen hat man nichts mehr bei ihnen gesehen, wohl aber Bettelhäs.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 586, S. 307f