206. Im Götzner Stieg

Im Schwäbischen war einmal eine Pfaffenköchin, die betrog beim Milchverkauf ihre Kunden, indem sie in jedes Maß den Daumen hielt, um die so verdrängte Milch für sich zu stehlen. Sie sagte: „Neunundneunzig Daumen geben auch ein Maß!" Für diese Betrügerei mußte das Weib nach dem Tode in ihrer Heimat geisten. Ein Priester aber bannte sie auf den höchsten Berg, den man von der Gegend aus sehen konnte. So kam es, daß sie sich auf dem Berg im Götzner Stieg herumtreiben mußte, denn grad dieser Berg schien von der Heimat dieser Weibsperson her der höchste. Vom Götzner Stieg her bereitete der Geist den Leuten mancherlei Plage. So trieb sie einmal die Rosse eines Fuhrmannes über einen hohen Felsen hinaus. Da es aber gerade Avemaria läutete und der Mann den Englischen Gruß zu beten begonnen hatte, kam er mit dem bloßen Schrecken davon.


Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 206, S. 125