392. Die verwunschene Alp

Es ist ein alter Glauben, daß es Glück und Segen in die Alpen bringe, wenn die Senner schöne Almosen geben an Käs und Schmalz und Ziger. So einer aber von Gottes Gut den Armen nicht mitteilt, folgt der Fluch.

Wo der helle gewaltige Felsstock des Ifen als öde Steinwüste zu den Gottesackerwänden langt, war vorzeiten eine fruchtbare Alpe. Auf weitem grünen Weideland sproßten da die würzigsten und besten Kräuter Ritz und Madaun, deren eines mehr fuhrt als von ändern eine

Handvoll. Darum war die Herde giebig an Milch und Molken wie sonst nirgends ringsum und viele blinkende Taler wanderten in die Säckel der Alpgenossen. Der harte Taler macht aber das Herz nicht weich, und die Bauern stellten Senner an, welche in die bittende Bettlerhand nicht die kleinste Gabe legten.

Einmal kam wieder ein armes Männle auf die Alpe. Hungrig bat es um Ziger in sein Näpfchen zur Zehrung. Die Senner aber jagten es mit Spott und Hohn von einer Hütte zur ändern und warfen ihm Kuhfladen nach, als es mit Betteln nicht abließ. Ganz besudelt und ermattet kam es endlich weit abseits zum Hütbuben. Der gab ihm mitleidig, was er hatte, aus seiner Tasche. Da hob der Bettler die Hand auf und sagte: „Flieh’! Denn diese Alpe will ich verfluchen. Weil mir keine Erbarmnis widerfahren, meß ich mit gleichem. Und es wird arg sein!" Als er so gesprochen, verschwand er. Es war unser Herrgott selbst. — Der Hütbub aber lief, soviel er konnte. Und hinter ihm bebte und toste es und die Felsen barsten. Als er sich umsah, war kein Weidefleck mehr weitum. Felsgeröll deckte die Alpe, mit Steinen war sie verschüttet. Seitdem grünt kein Kräutlein mehr dort und wurzelt kein Gras; ein wildes und wüstes Hochkar ist der Gottesacker auf ewig.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 392, S. 220f