Krankensalbung und Sterben im Aberglauben

Die Scheu des Volkes, sich rechtzeitig die Krankensalbung spenden zu lassen, herrschte noch bis in die jüngste Vergangenheit und gründete in der irrigen Meinung, der Kranke müsse sterben, wenn er die „Letzte Ölung“ empfangen habe. Es herrschte auch die abergläubische Furcht, der Kranke könne danach kein Testament mehr machen, es würden ihm die Haare ausfallen, und sollte er doch genesen, dürfe er ein Jahr lang nicht tanzen. Eine Heilung des Kranken war nach der Volksmeinung dann wahrscheinlich, wenn der Priester bei der Krankensalbung versehentlich die Stola nicht umkehrte, also statt der violetten die weiße Seite trug.

In den Gebeten war auch die Bitte enthalten, Gott möge den Zutritt der bösen Geister wehren. Diesem Zweck dienten auch andere Mittel: man läutete beim Kranken unter dem Bett, unter Tisch und Bank beständig mit einem Glöcklein und soweit man dessen Klang hörte, soweit hatte der Teufel keine Macht. Nach dem Tod läutete man dann weiter weg, zur Türe hinaus und einmal ums Haus herum, die scheidende Seele begleitend. Das geweihte Sterbekreuz, das man dem Kranken in die Hand gedrückt hatte, glaubte man noch einmal weihen zu müssen, weil ihm der Tod die Weihe nimmt. Das Krankenzimmer wird mit Weihwasser bespritzt, um die Teufel zu verscheuchen, da der Sterbende von bösen Geistern bedroht wird. Engel und Dämonen kämpfen jetzt schon um die ausfahrende Seele. Die Geister können auch in Tiergestalt erscheinen: eine weiße Taube soll die Seligkeit andeuten, ein Rabe oder eine schwarze Katze das Gegenteil. Die Sterbekerze sollte die bösen Geister verscheuchen und wenn nach dem Versehen und nach dem Auslöschen der Kerze ihr Rauch gegen die Tür zog, mußte der Kranke sterben.

Man fürchtete auch, daß der Sterbende andere mit sich in den Tod ziehen könnte. Wenn ein Sterbender jemanden beim Namen ruft, so stirbt der Gerufene bald. Wer in dem Moment, in dem ein Sterbender den letzten Atemzug tut, im Hause stolpert, stürzt zu Tode.

Für besonders schweres, lange dauerndes Sterben versuchte man, Gründe zu finden. Oft führte man Sünden als Ursache an; Geizige, Diebe, Gotteslästerer und Hartherzige müssen lange leiden, oder der Todkranke trägt ein Kleidungsstück, an dem am Sonntag gearbeitet worden ist. Dagegen wird das Sterben erleichtert, wenn man jedes laute Weinen und Klagen unterläßt; dadurch würde der Sterbende nur wieder aufgeweckt.

Niemals wird ein Mensch in seinem Leben genug Liebe, Wahrheit, Freiheit, Schönheit und Freude gefunden und gegeben haben. Der Mensch gibt sich mit keiner endlichen Grenze zufrieden. Hier liegt die stärkste Triebfeder für alles Leben und jeden Fortschritt: wir leben auf Letztgültiges, auf Unsterblichkeit hin. Und wenn wir schon selber nicht in dieser Welt bleiben können, so wollen wir wenigstens bleiben in unseren Kindern, in unseren Werken und in unserem Ruhm. Das ganze Leben des Menschen, auch des Menschen, der nicht an ein Weiterleben glaubt und die Hoffnung theoretisch nur als eine Folge der Angst deutet, ist innerlich getragen von Hoffnung und Fortschrittsglauben. Andererseits überwältigt uns aber die unerbittliche Gewißheit des Sterbenmüssens. Sterben geschieht nicht erst am Ende des Lebens, es zieht sich durch das ganze Leben: schmerzliche Enttäuschungen, erkaltete Liebe, Einsamkeit, Krankheiten sind schon der Anfang des Todes. Durch das Akzeptieren der Begrenztheit unseres Lebens, wird die Zeit des Lebens sehr kostbar. Jede Stunde kann auch die letzte sein. Kein Augenblick kehrt wieder, jede Entscheidung muß gut überdacht werden. So ist der Tod auch in einem positiven Sinn im Leben gegenwärtig; angesichts des Todes wird unser Leben unaufschiebbar und endgültig. Der Tod ist das Ende des Pilgerstandes des Menschen, das heißt, der Tod ist das definitive Ende der Möglichkeit, sein irdisches Leben zu gestalten, Fehler wieder gutzumachen und mit Gottes Gnade Heil zu wirken.

Bezüglich seines eigenen Todes sieht sich also jeder Mensch essen Unausweichlichkeit, aber auch der Sehnsucht nach Unsterblichkeit gegenübergestellt. Die Hinterbliebenen empfinden angesichts des Todes eines Angehörigen ähnlich: Abschied nehmen und Loslassen sind unumgänglich, und doch bleibt der Wille mit den Toten in Verbindung zu bleiben, ihr Andenken zu bewahren. Viele wollen - in langer christlicher Tradition stehend - ihnen auch durch Gebete und gute Werke ihren jenseitigen Zustand erleichtern.

Quelle: Sterben und Tod inKkult und Brauchtum, Reihe Rankweil, Gabriele Tschallener, Rankweil 1992, S. 25ff