Der reuige Dieb

Ein Pfarrer predigte auch einmal, daß man gestohlenes Gut wieder zurückgeben müsse. Da war nun einer unter den andächtigen Zuhörern, der einem Bauern einen Sennkessel gestohlen hatte. Der Mann sann hin und her, wie er den Sennkessel unerkannt seinem rechtmäßigen Besitzer wieder zurückgeben könnte; denn er wollte die Sache noch vor der österlichen Beicht ins reine bringen. Endlich fiel ihm ein, wie es zu machen wäre. Er verkleidete sich als Geist, nahm den Sennkessel auf den Rücken und machte sich mitten in der Nacht auf den Weg zum Gehöfte des Bauern. Dort klopfte der Mann an die Haustüre, und alsbald kam der Bauer mit einem Licht in der Hand und machte die Haustüre auf, um zu sehen, wer draußen sei. Der erschrak nicht wenig, als er das vermeintliche Gespenst mit dem Sennkessel vor sich sah, das nun zu sprechen anhub: „I moeß goaste, wil i eu dea Sennkessel gestohle ho, und ietz mächt i 'n wieder zrugg gea!“ „Ar soll der gschenkt si, ar soll der gschenkt si; wenn d' scho weage deam goaste moescht. Bhalt e nu de Kessel!“ sagte der Bauer, damit er den Geist nur schnell wieder fortbringe. Dieser machte sich denn auch schleunig aus dem Staube. Der Mann beichtete sodann, daß er einen Sennkessel gestohlen habe, als er ihn jedoch zurückgeben wollte, habe man ihm den Kessel geschenkt. Und er erhielt die Lossprechung. Die Leute sagen, der Mann habe doch nach seinem Tode mit dem Sennkessel auf dem Rücken geisten müssen.

Quelle: Adolf Dörler, Märchen und Schwanke aus Nordtirol und Vorarlberg, in: Zeitschrift d. Vereins f. Volkskunde 16 (1906), S. 288f, Nr. 23, zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 240f