Der Wildalpen See
Wo jetzt der Wildalpen See liegt, war einst eine schöne Sennerei.
Den Sennern und Sennerinnen gieng es aber zu gut, und deshalb führten
sie bald ein gar übermüthiges Leben. Sie tanzten und tranken
und bauten Stiegen aus eitel Käs und Butter. Dies verdroß unsern
Herrgott und er bestrafte die Frevler. Es kam an einem Sonntage ein gar
kleines Männchen und bat um Almosen. Als es aber spöttisch abgewiesen
wurde, stampfte es und bald sprudelte aus allen Ecken und Enden Wasser
hervor und überschwemmte die ganze Sennerei, so daß alle Leute
jämmerlich ertranken; nur der Spielmann, der im nächsten Dorfe
"kirchen" war, blieb am Leben. Die Fische, die sich in diesem
See aufhalten, sollen sich nicht fangen lassen. Wer in der Nähe des
Sees einschläft, wird in den See hineingezogen. Einmal legte sich
ein Jäger einen halben Scheibenschuß vom See entfernt nieder
und schlief ein. Als er nach einer Weile aufwachte, befand er sich am
See und seine Füße waren schon im Wasser. (Unterinnthal.)
Quelle: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz Vinzenz Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 230, Seite 143.