Die Weiherjungfrau
Der Weg von Mölten nach Sarnthal führt
über das Putzenjöchl, wo noch die Putzenmannlen (aufgehäufte
Steinhaufen) stehen. Vor alten Zeiten war beim Putzen ein großer
Weiher, in dessen Mitte ein großer Stein lag, unter dem eine weite
Kluft sich befand. Jetzt ist das reine Wasser schon lange verschwunden
und nur eine kleine sumpfige Lache findet sich noch dort. Als der Teich
noch bestand, machte ein alter Wiesenbauer oft den Weg nach Sarnthal,
denn er säumte Heu, woran er Überfluß hatte, zum Verkaufe
hinüber. Wenn der Bauer früh morgens sein Saumroß ober
dem Weiher herabtrieb oder abends nach dem Ave-Marialäuten auf dem
Rückwege in die Nähe des Teiches kam, erblickte er öfters
von weitem gar schöne Jungfrauen, die auf der Weiherwiese lachten,
sangen und tanzten. Sobald aber die Jungfrauen den Hufschlag hörten,
sprangen sie pitsch patsch in den Teich, und kam der Bauer zum Wasser,
sah er nur kleine Ringe darin, als ob Steinchen hineingefallen wären.
- Diese Jungfern sah er einmal wieder, als er recht mißmuthig aus
Sarnthal zurückkehrte, denn er hatte dort eine Dirne aufdingen wollen
und keine, selbst um großen Lohn, bekommen. Als er die Jungfern
gesehen hatte, dachte er sich, da gab es so "faule Trümmer" genug,
die nichts zu arbeiten haben. Wenn ich eine bekäme, wäre mir
geholfen. Doch wie sie fangen?
Dieser Gedanke ließ ihm keine Ruhe, bis er endlich nach Flaas zum
Leberbauern, der ein ausgestochener Kopf war, gieng und ihm sein Anliegen
vortrug. Dieser verstand mehr, als andere Leute, und hatte auch ein Hexenbüchlein.
Wie dieser den Wunsch des alten Wiesers gehört hatte, gieng er in
seine Kammer, blätterte dort im Hexenbüchlein nach und ertheilte
dann dem Wieser folgendes Mittel: "Wenn du eine Jungfer fangen willst,
mußt du zwei schwarze Ochsen nehmen, an denen kein einziges weißes
Härlein ist. Mit diesen laß du den Knecht auf den Putzenwiesen
warten, aber so weit oben, daß er den Weiher nicht sehen kann. Du
gehst aber vor dem Gebetläuten zum Weiher und versteckst dich dabei
hinter einem Baum oder einem Steine. Sobald du dann merkst, daß
die Jungfern aus dem Wasser springen, läufst du hinzu, erwischest
eine und fängst sie mit dem geweihten Rosenkranze, den du mitnehmen
mußt. Dann kommt sie dir nicht mehr aus und du gewinnst dir die
beste Dirne im ganzen Land." Der Wieser war mit diesem Rathe zufrieden,
sagte sein vergelt's Gott und gieng heim.
Auf dem nächsten Viehmarkte kaufte er zwei kohlrabenschwarze Ochsen,
die er um sündtheures Geld haben mußte; denn solche Thiere
sind zu allerlei gut. Am folgenden Feiertage befolgte der alte Wieser
den Rath und schlich sich zum Putzenweiher hin, während der Knecht
mit den beiden schwarzen Kalblen auf der Wiese droben wartete. Schon hatte
es vor einiger Zeit Ave-Maria geläutet, als es pitsch patsch, pitsch
patsch aus dem Wasser gieng, als ob Frösche heraushüpften. Bald
hörte der Wieser lachen und die Weiherjungfern tanzten und sangen,
daß es eine Lust war. Da sprang husch der Wieser hinter dem Steine
hervor, ertappte eine bei den Haaren und warf ihr den geweihten Rosenkranz
um den Hals. Dadurch war sie gebannt und kam nicht mehr fort, doch die
übrigen hüpften schreiend in den Teich.
Wie die Gefangene sah, daß kein Mittel zu entfliehen sei, bat sie
den Bauern kniefällig um Losgebung und versprach ihm einen "Hutgupf"
voll Gold. Der Bauer aber ließ sich nicht rühren und sprach:
"Geld hab' ich sonst genug, allein an Dirnen fehlt es mir." Dann that
er einen grellen Pfiff, und auf dies Zeichen eilte der Knecht mit dem
Fuhrwerke herab. Sogleich ward die schöne Jungfrau auf dem Karren
gebunden und zum Wieserhof geführt.
Die Weiherjungfrau diente nun viele Jahre beim Wieser und alles, was sie
bestellte, gerieth bestens. Sie war die treueste, flinkeste Dirn und überall
geliebt und gelobt, obgleich niemand ihren Namen wußte. Der auffallendste
Segen war am Wieserhofe mit der Jungfrau eingekehrt.
Lange Zeit darauf ritt der Wiesenbauer wieder einmal spät abends
auf seinem grauen Pferd am Weiher vorbei heimwärts. Da rauschte es
plötzlich hinter ihm. Er sah erstaunt um und sah eine Weiherjungfrau,
die erste seit jenem glücklichen Fange, und hörte, wie sie mit
lauter Stimme rief: "Du Mann mit dem weißen Schimmel sag' der Tille,
der Mann sei gestorben." Nach diesen Worten war sie verschwunden. Der
Wieser ritt eilig nach Hause und erzählte dort, er habe heute eine
Weiherjungfrau gesehen, die ihm zugerufen habe: "Du Mann mit dem weißen
Schimmel sag' der Tille, der Mann sei gestorben." Als die Weiherjungfer
dies hörte, wurden ihre Augen ganz naß und sie gieng auf ihre
Kammer. Am folgenden Morgen kam sie mit "Sack und Pack" zur Stube herab,
öffnete die Thüre und warf einen Fadenknäuel mit den Worten
hinein: "Niemand frag' um's End!" Darauf gieng sie fort und ward nie mehr
gesehen.
Der alte Wieser grämte sich nicht wenig darum. Er hätte gleich
einen Finger von seiner Hand weggegeben, wenn er diese Sache hätte
ungeschehen machen können. Mit dem Fadenknäuel, den die Jungfer
den Wieserischen zum Andenken gegeben, hatt' es folgende Bewandtniß.
Er wurde nicht alle, man mochte Faden, so viel man wollte, herunternehmen.
Das gieng viele Jahre so fort. Da war über Jahr und Tag eine Näherin
einmal unvorsichtig und sprach: "Möcht gerne wissen, wenn der Faden
einmal gar wird!" Kaum wars gesagt, als ein kalter Windstoß durch
die Stube fuhr, daß die Fenster zitterten - und die vorlaute Magd
hielt anstatt des Fadenknäuels Asche in der Hand. (Flaas.)
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Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben
von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 168, Seite 102