Die Unverehelichte

Aus der Zeit, in der die alten Jesuiter in unserem Vaterlande die Volksmissionen hielten und die Missionskreuze in den Gemeinden aufpflanzten, weiß sich das Volk gar sonderbare Dinge zu erzählen. So hört man an jenen Bußpredigern die große geistliche Gewalt rühmen, die sie besaßen, man hört erzählen, wie sie ihren Stock in die Erde stoßend selbe öffneten und dem gottlosen Sohne und der leichtfertigen Tochter den zu nachsichtigen Vater und die blinde Mutter in den Flammen des Fegefeuers oder in den ewigen Qualen der Hölle ihretwegen leidend zeigten, endlich wie sie Gespenster und Kobolde bannend den Lebenden Friede und Ruhe schafften, und wie sie tiefe Einblicke in das Innere der Gläubigen thaten. Davon nachstehende Sage als Beleg.

Unter den riesigen Ästen eines Lindenbaumes vor dem Friedhofe einer Landgemeinde hatten die Jesuiter ihre geistliche Rednerbühne aufgeschlagen und mit eindringlicher und kräftiger Rede die Zuhörer zur Reue und Buße ermahnt. Die Reihe zum Empfange der hh. Sakramente kam nun an den Stand der Jungfrauen. Die Zahl, in der sie sich einfanden, die Geduld, mit der sie bei den Beichtstühlen ausharrten, gab ihnen neuerdings Anspruch auf den ehrwürdigen Titel: "Das fromme Geschlecht." Da wurden nun die bestaubten Akten des früheren Lebens der genauesten Durchsicht unterworfen und jede Falte des Herzens mit der ängstlichsten Gewissenhaftigkeit durchsucht, um den vielleicht lange entbehrten Seelenfrieden wieder zu erlangen. Da war nun auch eine unter diesen bußfertigen Seelen, die in den Tagen, von denen besonders bei Jungfrauen gesagt werden möchte: "Sie gefallen mir nicht," schon etwas weiter vorgerückt war. Sie war nicht ohne zeitliches Vermögen und eines unbescholtenen, tadellosen Wandels. Auch sie warf sich voll Reue und Demuth dem Bußprediger im Richterstuhle der Buße zu Füßen und verhandelte mit ihm in langer Unterredung über die so wichtige Angelegenheit ihres Seelenheiles. Schließlich aber gab ihr der fromme Pater folgenden Auftrag:

"Von heute an bringe drei Nächte im Gotteshause betend zu, und was du dort sehen wirst, erzähle mir dann treulich. Doch sei ohne Furcht, es wird dir nichts zu Leide geschehen."

Beklommenen Herzens machte sie sich nun abends auf, nach dem Auftrage des Missionars ihre erste Nachtwache in der Dorfkirche zu halten. Der Schein des ewigen Lichtes leuchtete gar düster durch die heiligen Hallen; alles war stille und öde, so daß sie laut den Schlag ihres pochenden Herzens hörte, und inbrünstig betend ein Kügelchen um's andere an der Schnur ihres Rosenkranzes heruntergleiten ließ. Endlich schlug die Stunde der Mitternacht; das Flämmlein des ewigen Lichtes schien auf einmal heller aufzuflackern und viele Gestalten schwebten geisterhaft an ihr vorüber, als ob sie, wie bei Seelengottesdiensten üblich, "zum Opfer" gehen wollten. Es war ein Zug von Männern, Frauen und Kindern. Die Züge in ihren Gesichtern waren ihr fremd und unbekannt, die Tracht hatte fast nichts mit der damals gebräuchlichen gemein. Endlich verschwand der geisterhafte, Umzug und die Jungfrau betete wieder einsam und allein zu Hilfe und Trost der armen Seelen, die sie in jenem Zuge gesehen zu haben glaubte. Endlich grüßte der erste Hahnenschrei die anbrechende Morgendämmerung, und bald kam der Kirchendiener, um zum englischen Gruße zu läuten. Die Büßerin begab sich darauf nach Hause, um dort durch einige Stündlein Schlafes sich von der ersten Nachtwache und dem überstandenen Schrecken ein wenig zu erholen. Und auch die zweite und dritte Nacht gieng sie wieder in die Kirche, um zu beten und der Dinge zu harren, die da kommen sollten. Und sieh! auch in den zwei folgenden Nächten mußte sie zu ihrem Entsetzen denselben Zug gespensterhafter Gestalten schauen, die ihr gänzlich unbekannt waren, nur daß derselben jede Nacht mehrere zu sein schienen, als in der vorhergehenden. Unverweilt begab sie sich nun am Morgen des dritten Tages zum frommen Bußprediger und bat ihn, ihr die Bedeutung dieser dreimaligen Erscheinung zu erklären und ihr zu rathen, was sie zu Hilfe und Trost dieser armen Seelen zu thun habe, besonders, so sie aus ihrer Verwandtschaft wären. Der gotterleuchtete Mann aber sprach:

"Der armen Seelen wegen sei ohne Sorge; wohl thust du gut, ihnen überhaupt durch Gebet und Almosen beizustehen; doch nicht das ist zunächst Sinn und Bedeutung der gehabten Erscheinung. Aber sieh! ein wackerer Jüngling hat einst in Ehren um dich gefreit, dein Herz und dein Vermögen hätten ihn zum glücklichen Manne gemacht, und als christliche Hausmutter hättest du Gutes wirken können selbst für kommende Geschlechter. In der Erscheinung der vergangenen drei Nächte hat dir Gott nicht die Seelen der aus deiner Verwandtschaft Dahingeschiedenen, vielmehr deine Nachkommen bis in's dritte und vierte Geschlecht vorgeführt, wenn du auf christliche und ehrbare Weise in den Ehestand getreten wärest. Nicht aus reiner Liebe zu Gott, nicht um der höheren Vollkommenheit willen bist du ehelos geblieben, sondern weil dich die Beschwerden des Ehestandes schreckten, und du zu gemächlich warst, dich seinen Pflichten zu unterziehen. Bedenke nun selbst, welches Verdienst dein bisheriges Leben im ehelosen Stande vor Gott haben mag, und heilige ihn fortan durch regeres Streben nach Vollkommenheit."

Solchen Aufschluß hatte die Jungfrau vom Pater nicht erwartet; unter heißen Reuethränen schied sie von ihm. (Bei Schwaz. P. Heinrich Högl.)

Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 1011, Seite 580ff.