St. Oswald
1.

Der h. Oswald, der ein christlicher König im Etschlande war, wurde von Heiden und anderen bösen Leuten des Thrones beraubt und vertrieben. Da flüchtete er sich zum Isinger hinauf und wohnte dort, bis er selig im Herrn starb. So lange König St. Oswald regierte, waren die guten Zeiten, denn da gab es weder Hunger, noch Theurung, weder Krieg noch Pest. Die Äcker und Wiesen trugen wenigstens noch soviel, als heuzutage. Selbst der Arme hatte mehr als genug und mußte sich das Brot nicht sauer verdienen. Friede und Recht herrschten, solange der h. König auf dem Throne saß.

2.

Der h. Oswald hat immer einen Raben bei sich und ist der gewaltigste Wetterherr. Wenn er nicht in geziemender Weise verehrt wird, sendet er Hagel und Regen, daß alles Getreide zu Boden geschlagen wird und verdirbt. Um den mächtigen Herrn zu verehren, ziehen am 5. August die Bauern von Schenna und Hafling in Prozession zur Oswaldkapelle am Isinger hinauf. Von dieser, die nahe am Junkbrunnen steht, wird folgende Legende erzählt: In uralter Zeit, wo der Holzwuchs noch weiter hinaufgieng, war die Stelle der Kapelle dicht von Alpenrosenstauden bewachsen. Im Gesträuche fanden Hirten ein Bild des h. Oswald. Sie trugen es nach dem Dorfe Schenna hinunter und stellten es in der dortigen Kirche auf. Doch siehe, kaum war die Nacht angebrochen und herrschte ringsum Dunkel, stieg der h. Oswald lichtstrahlend aus der geschlossenen Kirche empor und ritt dem Isinger zu, wo man ihn am folgenden Tag unter den Alpenrosen fand. Man brachte ihn noch öfters nach Schenna, aber jedesmal ritt er, sobald es dunkel ward, strahlend auf und davon, denn er wollte nur beim Junkbrunnen am Isinger wohnen. - Weil St. Oswald unter Alpenrosen gefunden wurde, heißen sie heutzutage noch bei Hafling Oswaldstauden. Der Heilige soll daran großes Wohlgefallen haben. (Meran.)


Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 1, Seite 1.