Die Waldfräulein bei Falkwand

Falkwand ist der größte Bauernhof in Stuls. Neben ihm ragt eine hohe Felswand empor, über die ein Wasserfall herniederrauscht. An dieser Wand sah man oft von Platt aus blendendweiße Wäsche hangen, die den Waldfräulein gehörte. Diese standen mit dem Bauern in Falkwand in gar freundlichem Verkehre. Oft stahl sich der Bauer nachts von seinem Weibe weg und besuchte die Waldweiblein, die ihm allerlei gute Rathschläge für sein Hauswesen gaben und ihm prophezeiten, daß kein Falkwänder Bauer jemals schlecht stehen werde. Als dieses freundliche Verhältniß schon lange gedauert hatte, merkte endlich die Bäuerin, daß ihr Mann sich oft nachts entfernte, und hegte allerlei Argwohn bei sich. Um nun zu erfahren, wohin er hege, hängte sie ihm einen Zwirnfaden an und behielt den großen Knäuel in ihren Händen. Der Bauer gieng zu den Fräulein und zog den Faden mit sich. Kaum war er bei den Waldfräulein angekommen, als sie alsogleich den Zwirnfaden bemerkten und ihn auf der Stelle umkehren hießen. Zugleich sagten sie ihm, daß er in Zukunft nicht mehr kommen dürfe. Er befolgte ihren Befehl und ging nach Hause. Später gieng er noch oft zur Wand hinauf und forschte nach den Fräulein, allein sein Suchen war vergebens, denn er konnte sie nie mehr finden. (Passeier.)


Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 66, Seite 43.