Die Engelswand

Ein Graf von Hirschberg, der in grauer Vorzeit nahe bei Umhausen seine Burg hatte, kam eines Abends mit seiner Gemahlin lustwandelnd in die Gegend dieser Felsenwand. Da geschah es, daß ihr Kind, ein wunderholder Knabe, von bunten Blumen verlockt, sich von ihnen entfernte, ohne daß sie es, in Gesprächen vertieft, gewahrten. Plötzlich schoß mit der Schnelle des Pfeils ein Jochgeier hernieder, ergriff den Knaben und flog mit ihm zum Felsenneste hinauf. Die erschreckten Eltern starrten jammernd dem Kinde nach und bestürmten den Himmel mit Gebeten und Gelübden. Da erschien ein Engel eben im Augenblicke, als der Adler sich auf den Felsen niederließ, nahm ihm das Kind und legte es vor den Eltern in das weiche Gras. Der steile Felsen hieß aber von jener Zeit an die Engelswand. (Ötzthal. Staffler I, S. 359.)

Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 908, Seite 525.