DIE PLUNGGENKAPELLE

Um die Mitte des 14. Jahrhunderts wurde unser Land von der Pest heimgesucht, auch das Zillertal litt schwer darunter. Darum haben die Uderner dem heiligen Rochus, der als Patron gegen die Pest hohes Ansehen genoss, in der Plunggenkapelle eine Heimstatt gegeben, damit er sie schütze vor dem Schwarzen Tod.
Die Pluggenkapelle
Die Pluggenkapelle (auch Plunggerkapelle) hl. Maria am Waldrand, 19. Jh., Uderns (Zillertal)
© Wolfgang Morscher, 5. September 2004

Der Mensch ist aber ein undankbares Geschöpf. Steht die Not vor der Tür, weiß er wohl zu bitten und zu beten, ist die Gefahr aber vorbei, vergisst er allzu leicht den Dank. Das war in Uderns nicht anders. Die nächste Generation dachte nicht mehr daran, wem sie Leben und Gesundheit zu verdanken hatte, und so geriet die Plunggenkapelle mehr und mehr in Vergessenheit - die Mauern wurden brüchig, die Schindeln faul, durchs Dach tropfte der Regen, durch die Fugen pfiff der Wind.

Endlich wurde es dem Heiligen zu dumm, und weil sich kein Mensch um seine baufällig gewordene Behausung kümmerte, machte er sich eines Tages selbst auf den Weg zum Kirchenpfleger. Der zeigte sich sehr betroffen über den Besuch, versprach bereitwillig Abhilfe und war froh, als er den Gast wieder los war. Zufrieden wanderte der Heilige in die Kapelle zurück und wartete geduldig auf die Einlösung des Versprechens. Er wartete vergebens. Nichts rührte sich.
Da brach er nach vier Wochen abermals auf zum Kirchenpfleger und wollte wissen, wie lang es denn noch dauern werde. "Ja, ja", brummte der Pfleger, "wir werden schon kommen. Lass uns grad noch das Heu einbringen, solang' das Wetter schön ist."

"Das hat keine Eile", meinte der Heilige, "es bleibt jetzt ohnehin längere Zeit schön." Das hätte er freilich nicht sagen sollen, denn der Pfleger dachte insgeheim: "Den lass ich mir noch öfter kommen, denn einen so guten Wetterpropheten krieg' ich sonst nirgends." Auf diese Weise wurde es Winter, und die Plunggenkapelle verfiel immer mehr. Bekümmert und mit verbittertem Herzen über die Undankbarkeit der Menschen wandelte der Heilige ein drittes Mal ins Dorf und brachte erneut sein Anliegen vor: "Richtet mir doch wenigstens das Dach ein bissl her!", hielt er dem Pfleger vor. "Es schneit mir ja schon herein."

"Lieber Rochus", beeilte sich der Kirchenpfleger mit der Antwort, "sei uns nicht bös, dass bis jetzt nichts geschehen ist. Ein Bauer hat halt immer zu tun und wenig Freizeit. Jetzt ist es aber dann ganz bestimmt bald so weit, dass wir ans Ausbessern der Kapelle gehen. Musst dich nur noch ein bissl gedulden, bis wir das Holz geschlagen haben."

"Inzwischen kommt die Pest und schmeißt euch alle in die Grube!", erwiderte der Heilige, drehte sich um und verließ das Haus.

Bronzetafel: PLUNGGENKAPELLE
Bronzetafel: PLUNGGENKAPELLE
RENOV. 1990
ORTSBAUERNSCHAFT
UDERNS

© Berit Mrugalska, 5. September 2004

Schon am nächsten Tag kamen die Uderner mit Werkzeug aller Art und begannen, die Kapelle wieder aufzurichten und herauszuputzen. Es war auch höchste Zeit gewesen, denn noch einmal kam die Pest ins Land. St. Rochus aber war mit den Udernern wieder versöhnt, und ganz gewiss war es seiner Fürsprache zu verdanken, dass die Seuche nur wenige aus dem Dorf dahinraffte.

Quelle: Hifalan & Hafalan, Sagen aus dem Zillertal, Erich Hupfauf, Hall in Tirol, 2000, S. 40