DAS MIRAKELKREUZ

Was dem Volk unverständlich ist, weil es sich auf natürliche Weise nicht erklären lässt, wird ein Wunder genannt. Von solchen wunderbaren Begebenheiten zeugen Kreuze und Bildstöcke im Tal, von den Gläubigen zum Dank oder auch zur Mahnung aufgerichtet. Auch auf dem Weg, der vom Weiler Finsing nach Uderns führt, steht ein solches Mirakelkreuz. Über seine Errichtung wird Folgendes erzählt:

Vor rund hundert Jahren, als Finsing und Uderns noch kleine Dörfer waren, wanderte ein Knecht zur Nachtzeit die Straße daher und wurde überfallen. In höchster Not gelobte er, an dieser Stelle ein schönes Kreuz aufzurichten, wenn er mit dem Leben davonkommen sollte. Im selben Augenblick sprengte über die Finsingbrücke ein stattliches, von zwei prächtigen Schimmeln gezogenes Fuhrwerk daher, wodurch die Bösewichte verscheucht wurden.


Der Finsinger Bach, Uderns
© Berit Mrugalska, 5. September 2004

Der zu Boden geworfene Knecht erhob sich, aber von dem Gespann war nichts mehr zu sehen. Der Gerettete dankte laut seinem Herrgott und ging anderntags daran, sein Gelöbnis einzulösen.

Auch in der Plunggenkapelle hängt ein solches Mirakelkreuz. Es stammt vom Herrgottschnitzer Simon Hauser aus Haselbach (Hart), der mütterlicherseits ein Neffe jenes überfallenen Knechts war und 1907 in Uderns gestorben ist. Als Simon noch in Haselbach wohnte, kam einmal der Bach bei einem Gewitter wild auf sein Haus zu. Simon nahm seinen geschnitzten Herrgott aus dem Stubenwinkel, trug ihn hinaus und lehnte ihn an die bergseitige Hauswand. Daraufhin teilte sich der Wildbach, und das Haus blieb vor der Zerstörung bewahrt.

Quelle: Hifalan & Hafalan, Sagen aus dem Zillertal, Erich Hupfauf, Hall in Tirol, 2000, S. 42