DIE SALIGE AUF HOHENRIED

Hoch oben am Gerlosberg stehen auf dem sogenannten Hohenried zwei Bauernhöfe, von üppigen Bergwiesen und herrlichen Wäldern umgeben. Von dort genießt man eine wunderbare Fernsicht auf die schneebedeckten Häupter der Zillerthaler- und Duxerferner, während tief unten sich das liebliche Zillerthal ausbreitet. Unweit von Hohenried befindet sich ein kleiner Stadl, in dessen "Zimmer" ( Scheune) eine Salige lange Zeit wohnte, weshalb er heute noch "Fraunzimmer" heißt.

Eines Tages war die Bäurin auf ihrem Flachsfelde beschäftigt, das Unkraut auszujäten. Da kam die salige Frau aus dem Walde hervor, trat zu ihr hin und erbot sich freundlich, ihr bei der Arbeit behilflich zu sein. Die Bäurin nahm das Anerbieten um so lieber an, als sie zu Hause noch viel zu thun hatte, und beide waren nun mehrere Stunden auf dem Felde beschäftigt. Als die Arbeit beendet war, fragte die Bäurin die Salige um ihren Lohn. Letztere beanspruchte aber nur schönen Dank und einen Laib Brot. *)

*) Sehr seltener Zug, da die Saligen für gewöhnlich weder Lohn noch Gabe annahmen und niemals wiederkehrten, wenn man ihnen solches anbot.


Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr 3, Seite 2f