Die Preiselbeere

Vor langer Zeit begab sich einmal der Teufel zu unserem Herrgott und bat ihn, daß er ihm etwas zu erschaffen erlaube, wodurch er sich berühmt machen und einen größeren Anhang erwerben könnte. Der Herrgott wußte zwar, daß der Satan nichts Gutes erschaffen kann, aber er dachte sich, "der Teufel kommt mir nicht oben auf", und gab ihm die Erlaubnis. Voller Freude ging der Satan fort, und während er so darüber hinwegsann, was er am passendsten erschaffen könnte, führte ihn der Weg durch einen Wald, wo viele Moosbeeren von wunderschöner dunkelblauer Farbe wuchsen. "Ei", sagte der Böse bei sich, "schöner wären diese Beeren, wenn sie meine Farbe trügen", und erschuf solche Beeren mit der roten Farbe genug. Dabei tat er den Schöpferspruch, daß jeder, der ein solches Beerlein äße, mit Leib und Seele ihm gehören solle.

Es währte nicht lange, da kamen schon zwei brave Kindlein in den Wald herein, Moosbeeren zu sammeln, und fanden im Sachen auch die roten. Weil ihnen diese viel seltsamer waren, da sie die blauen doch alle Tage haben konnten, wurden sie von den seltsamen roten angelockt, daß sie nicht mehr widerstehen konnten und sich schon darnach bückten. In dem tat sich der Himmel auf, und der liebe Gott, der es geschwind bemerkt hatte, machte ein Kreuz auf die Erde herab, und siehe, von Stund an war jede Preiselbeere mit einem Kreuzlein versehen, wie es der Herrgott gemacht. Der Teufel aber fuhr mit Ingrimm zur Hölle hinab und ballte noch vor dem Höllentor die Faust hinauf vor Zorn und Ärger, daß beim lieben Herrgott zwei Kindlein mehr gelten, als er. (Wildschönau.)

   J. A. Heyl - A. Mühlegger

Quelle: Der Sagenkranz der Wildschönau, in: Heimat Wildschönau, Ein Heimatbuch, Dr. Paul Weitlaner, Schlern-Schriften Nr. 218, Innsbruck 1962, S. 125 - 155.