Die Saligen Frauen vom Kragenjoch

Über steilen Felsbrüsten und dunklem Tann erhebt sich frei und stolz das Kragenjoch mit der Achentaleralm.

Es bietet einen reizvollen Anblick über das Unterinntal von Vomp bis Erl und versperrt dem rauhen, unbändigen Nord den freien Zutritt in die Wildschönau, so daß das abgeschlossene, von Bergen rings umsämte Hochtal die Sonnenwärme inniger und tiefer schlürfen und ungestörter die kargen Böden zu erhöhter Fruchtbarkeit in der Milde des Klimas reizen kann.

In der Gelüste Zornesdrang aber schiebt dann ab und zu der verärgerte, rauhe Nord mit Gewalt seine Wolkenballen über den Höhensaum, bläst im Winter die grauen Schneeschwaden durch die heimliche Bergweltstille in alle Gründe und Klüfte und läßt im Sommer gar nicht selten in bitterer Wut den schweren Hagel auf das stille Joch und seine Almmatten niederbrausen.

Nebel und Schnee © Berit Mrugalska
Nebel und Schnee in der Wildschönau
© Berit Mrugalska, 10. Mai 2005

Dann aber vergoldet die gütige Mutter Sonne wieder den dunkelgrünen Saum mit verschwenderischer Pracht und magischer Zauberherrlichkeit.

Da kommen nach der Sage die Saligen Frauen aus der tiefen Felsklippe gestiegen und ergötzen sich in der Stille der Umgebung. Ihr lieblicher Sang läßt Herden und Senner aufhorchen, bis dann allmählich der süße Klang, immer leiser werdend, in der Tiefe des Tales versinkt.

Es war ein wonniger, sonnentriefender Junivormittag. Die Bäuerinnen kauerten mit ihren Mägden an den Äckern der Berglehnen, um das Unkraut aus dem sprießenden Korn zu rupfen. Da stieg eine Frau voller Anmut und Schönheit den Hang herunter nach Oberschönberg. Sie ging den jätenden Frauen zu und bat schließlich die Bäuerin um einen Laib Brot.

   Adolf Mühlegger
   In der "Dorfschule" 1960

Quelle: Der Sagenkranz der Wildschönau, in: Heimat Wildschönau, Ein Heimatbuch, Dr. Paul Weitlaner, Schlern-Schriften Nr. 218, Innsbruck 1962, S. 125 - 155.