DER VOGELFÄNGER VON SCHWAZ

Dieteler, armer Leute Kind aus Schwaz, war ein Vogelnarr, wie er im Buch stand. Kein Tag verging, an der er nicht, mit Lockvögeln und Leimruten wohl versehen, in die nahen Berge stieg, um die armen Vögel zu Hunderten zu fangen.

An einem Sonntagmorgen im Spätherbst ging er wieder seiner Leidenschaft nach und wanderte zur benachbarten Geißlehne, um dort oben sein Glück zu versuchen. Bald hatte er einen freien Platz gefunden, wo die Vögel schönen Anflug hatten, und richtete seine Lockmittel auf. Alles ging nach Wunsch; die Lockvögel taten ihre Schuldigkeit, und die betrogenen Waldvöglein gingen auf den Leim. Im Flug vergingen die Stunden, und Dieteler merkte gar nicht, daß es höchste Zeit war, wenn er zur Zehnuhrmesse in Schwaz noch zurechtkommen wollte.

Gasse in Schwaz © Berit Mrugalska
Blick zur Pfarrkiche in Schwaz
© Berit Mrugalska, 8 Februar 2005

Plötzlich sah der eifrige Vogler einen wunderschönen Gimpel, dessen Brust in der hellen Morgensonne glänzendrot leuchtete. "Ha", dachte Dieteler, "der muß mein werden, zur Zehnuhrmesse komme ich noch immer zurecht. Wenn er nur schon auf der Leimrute säße!" Der Vogel kam näher und näher; da hörte der Jüngling die Glocken aus dem Tal zum Kirchgang läuten, aber zugleich zappelte der prächtige Gimpel auf dem Leim. Behutsam löste ihn Dieteler von der Rute, reinigte ihm Füße und Flügel und sperrte ihn in einen Käfig aus Eisendraht. Dann eilte er voll Freude über seinen schönen Fang, aber nicht ohne Reue über die versäumte Messe den Hang abwärts. Wie er so dahinrannte, wurde die Last auf seinem Rücken schwerer und schwerer, so daß ihm schließlich war, als könne er sie nicht mehr ertragen.

Da blieb der Junge stehen, nahm die Trage vom Rücken und untersuchte alle Käfige, die er aufgepackt hatte, um zu sehen, was schuld daran war, daß sie gar so sehr drückten. Entsetzt bemerkte er, daß der Gimpel glühend rot und so groß geworden war, daß er den Käfig ganz ausfüllte, ja sogar die Gitterstäbe desselben nach außen bog. Er schien noch immer größer zu werden.

Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Von Grauen gepackt, warf Dieteler den Käfig die Lehne hinunter und rief hinterdrein: "In Gottes Namen, du Teufelsgimpel sollst mich nicht kriegen!" Der Käftig aber kollerte mit großem Lärm den Berghang hinab, und Dieteler sah deutlich, wie der Gimpel einen feurigen Schweif hinterließ.

Seitdem war der Junge von seiner Leidenschaft geheilt, rührte keine Leimrute mehr an und versäumte keinen Sonntagsgottesdienst mehr.


Quelle: Die schönsten Sagen aus Österreich, o. A., o. J., Seite 279