Die Robler

Es war einmal ein Bursche, hübsch gewachsen und von großer Leibeskraft. In seiner Gemeinde war kein Bursche mehr, den er im Kampfe hätte fürchten dürfen, denn jedem, der es mit ihm aufgenommen, hat er "das Federl" herabgethan; das war eine ausgemachte Sache; er war der Robler im ganzen Dorfe.

Doch damit war er nicht zufrieden; auch außerhalb der Gemeinde sollte man seinen Muth und seine Stärke kennen, er trachtete nach nichts Geringerem, als der Robler unter den Roblern ringsum zu sein. Um sich aber diesen Ruhm zu erwerben und zu sichern, glaubte er sich nicht blos auf seinen angebornen Trotz und Muth und auf seine natürlichen Körperkräfte allein verlassen zu können, sondern mit höheren Mächten im Bunde sein zu müssen, denn er hatte immer gehört, daß der unüberwindlich sei, welcher in der Stunde der Mitternacht die letztbestattete Leiche ausgrabe, dreimal um den Freithof [Friedhof} herum ziehe, ihr Leichenhemd trage, sie wieder beerdige, und dies alles in einer Glockenstunde vollbringe.

Da starb die alte Mutter des Dorfwirthes, und ihre Leiche ward unter den Thränen ihrer Kinder und Enkel nach christlichem Gebrauche bestattet. Nun hatte der kecke Raufer nimmer Rast und Ruhe; unwiderstehlich drängte es ihn, sein finsteres Werk zu vollbringen. Schlag Zwölfuhr um Mitternacht stand er am frischen Grabeshügel, Grabwerkzeuge über seiner Schulter und eine düster leuchtende Laterne in seiner Hand. Kein Sternlein schimmerte am Himmel, es war eine dunkle, rabenschwarze Nacht. Das Rasseln des Uhrwerkes, als es die zwölfte Stunde schlug, hatte einige Fledermäuse aufgeschreckt, die nun um den düstern Schein der Laterne flatterten; sonst regte sich kein lebend Wesen.

Unverweilt legte er nun Hand an's Werk und pickelte und schaufelte, bis der Sarg frei lag; mit starken Armen hob er ihn, eilig that er sich das Leichenhemd an, und dreimal schleppte er die Leiche keuchend um die Freithofmauer herum. So schwere Last hatte er noch nie in seinem Leben fortgeschafft; es war ihm, als hätte er einen Felsblock bergauf zu wälzen; beinahe fürchtete er unterliegen zu müssen. Der schauerliche Umzug war nun vollbracht, die Leiche wieder in den Sarg gelegt und dieser in das Grab gesenkt.

Schnell ward nun das Grab gefüllt und über demselben die Erde zum Hügel geformt, aber die Stunde mußte nun auch bald abgelaufen sein. Als er sein Grabwerkzeug zusammengerafft und die Laterne zur Hand genommen hatte, hob sich knarrend der Hammer an der Thurmuhr, um die erste Stunde nach Mitternacht anzuzeigen. Da fieng es sich auf dem Freithofe [sic] mit einem Male an zu regen und zu klappern, als ob Bein zu Bein sich fügte und die Todten aus ihren Gräbern erstehen wollten. Dem Burschen war nicht wohl um's Herz, denn verwegen hatte er die Ruhe der Todten gestört und die Strafe seiner gottlosen That schien ihn nun zu ereilen. Er sah, daß es nimmer möglich wäre, vor Schlag Einuhr das Gitter des Freithofthores [sic] zu erreichen; die Angst erhöhte seine Kräfte und in einem Satze war er auf dem kürzesten Wege, wahrend es. von dem Thurme herab einmal tönte, über die Freithofmauer. Er war nun außer dem Bereiche der Todten, gerettet und frei, und was ihm das Wichtigste war, er hatte das Todtenhemd auf seinem Leibe. In seinem kecken Sprunge über die Freithofmauer [sic] war es ihm aber, als streckte eine Hand sich nach ihm aus, um ihn an den Schossen seiner Lodenjoppe festzuhalten, und wirklich bemerkte er mit kaltem Schauder, daß ein Zipfel aus derselben wie mit glühenden Zangen herausgerissen war. Dies hatten die armen Seelen gethan mit ihren von den Flammen des Fegfeuers glühenden Händen, denn tags darauf sahen die Kirchgänger auf jedem Grabeshügel des ganzen Freithofes ein und dasselbe Stück Lodenfleck und wußten sich die Sache nicht zu deuten und zu erklären. Der Robler aber war nun vollendet und fertig; noch wilder blitzte sein Auge, noch verwegener ragte die Spielhahnfeder auf seinem schiefsitzenden Hute, und die Rechte mit dem Schlagringe war immer geballt und schlagfertig. Weit und breit war ihm keiner im Ringen und Raufen gewachsen, denn einem jeden nahm er fast spielend das Federl ab. Doch, wie verlautet, soll er bei keinem Beichtvater mehr abgekommen sein, und seiner Lebtage soll er bei der Wandlung die heilige Hostie nie anders als schwarz gesehen haben. (Bei Schwaz. P. H. Högl.)

Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 767/2, Seite 438ff.