DAS ZU STEIN GEWORDENE LIEBESPAAR
im Aubachgraben in Wörgl

(Niedergeschrieben von Georg Opperer)

Bei Wörgl gibt es einen Wasserlauf vom Zauberwinkel herunter. Der Aubach. Er durchfließt talauswärts eine schluchtartige Stelle, in welcher hoch über der Bachsohle zwei verklemmte Steine, wie frei in der Luft hängend, zu sehen sind.

Auf dem Zauberwinkel - es ist eine fruchtbare Ebene, mehr als Hausberg bekannt - über der Waldgrenze der sie umgebenden, in das Tal verlaufenden Hänge war unter den ersten Siedlern ein junger Mann. Niemand wußte, von wo er hergekommen ist. Für die Siedlung war er ein Fremder. Er siedelte allein, ohne jemand zur Last zu fallen. Aber in einer Weise lenkte er die Aufmerksamkeit der Gegend auf sich. Er blies morgens und abends an jedem Tag auf einem Waldhorn, das er sich selbst aus Baumrinden angefertigt hatte, schöne Arien in das Tal hinaus. Rechts des Aubaches welcher hier oben längs den Wiesen, die seine Ufer bilden seinen Lauf nimmt, stand zu jener Zeit ein schloßähnliches Herrenhaus. Man sagt Himersbichl hätte es geheißen. Dort war ein schönes Mädchen Zuhause, die Tochter des Herrn dieses Ansitzes, welches aber von diesem streng bewacht wurde. Sie hörte auch das Waldhorn des Wildling - so nannte man den Sonderling auf dem Zauberwinkel - und schlich an das Bachl heran, um sich die Rufe des Waldhorns anzuhören. Sie war sangeslustig und wiederholte mit lauter Stimme die Weisen. Der Wildling nahm diesen Widerhall wahr und einmal überschritt er das Aubachl und fand zu seiner größten Freude diesen in Gestalt eines allerliebsten Mädels. Sie setzten sich zusammen ins Gras und sangen gemeinsam die Waldhornarien. Doch bald schickte sich das Mädel zum Heimgehen an, weil sie ihren Vater vor dem Eingang in das Herrenhaus stehen sah, und vermutete, daß er nach ihr Ausschau hielt. Sie reichte dem Wildling die Hand und dieser zog sie an sich und küßte sie - eilte dann aber fluchtartig heimwärts. Der Vater des Mädels wird dies bemerkt haben und frug sein Töchterlein, mit wem sie am Bache beisammen gewesen sei. Sie bestritt diese Annahme ihres Vaters. Dieser aber konnte sich seines Argwohnes nicht erwehren und gab ihr den Bescheid: Dann wird das, was er gesehen habe, ein Bär gewesen sein! Solcher gab es in dieser Gegend, und er verbot ihr ein - für - allemal, daß sie sich je an das Bachl heran wage. Es könnte ihr was geschehen.

Das Mädel hatte aber Sehnsucht nach einem Wiedersehen mit dem Wildling und ging doch wieder einmal auf das Platzerl zu, wo sie mit ihm zusammen gewesen war. Ihr gestrenger Vater beobachtete sie und rief sie zurück. Sie gab nicht acht darauf, beschleunigte sogar ihren Gang. Ihr Vater lief ihr voll Zorn nach und rief ihr zu: Wenn du dich noch einmal von diesem Wildling anrühren läßt - sollt ihr beide zu Stein oder Eisen werden! Das Mädel hörte den Fluch, durch die beängstigte Verfolgung war sie vom Weg abgekommen und kam an der Stelle zum Bach, wo dieser in die Schlucht abfällt. Dem Vater ausweichen war unmöglich - sie sprang in die Schlucht hinunter.

Der Wildling von drüben schlich Tag für Tag an den Bach heran, das Mädel zu suchen. Er kam auch gerade, als das Mädchen vor dem Vater flüchtete, auf den gefährlichen Rand des Aubaches zu. Er rannte auf der anderen Seite dem Bach abwärts, sah das Mädel in die Schlucht springen und sprang gleichzeitig mit ihr von der anderen Seite in diese hinab. Sie starben beide engumschlungen und erstarrten zu Stein. Mit der Zeit hat der Bach die zwei dort wie zusammengeschweißt lagernden Steine unterspült. So ist es gekommen, daß diese nicht mehr im Bach liegen. Der Fluch des Vaters hat sich an ihnen erfüllt.

Georg Opperer in: Tiroler Heimatblätter, ca 1930; von Gottfried Opperer freundlicherweise zur Verfügung gestellt